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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Unsere Sprache müßte unendlich viele Wörter für schön haben; die Augen sahen, was der Mund unmöglich beschreiben konnte.
    Und auch hier waren sie: Wesen überall, lichterfüllt, von eindeutig menschlicher Gestalt; sie hatten Arme, Beine, strahlende Gesichter, Haare, Kleidung der unterschiedlichsten Art, doch schien keine von besonderer Wichtigkeit. Alle waren in Bewegung, gingen in Gruppen oder allein umher, fanden sich zusammen, umarmten sich, klammerten sich aneinander oder hielten sich bei den Händen. Sie waren in Unterhaltungen vertieft oder tauschten Zärtlichkeiten und Küsse aus, einige tanzten, und die Gruppen und Grüppchen vergrößerten sich oder lösten sich wieder auf.
    In diesem Zusammenspiel von scheinbarer Unordnung und Ordnung lag das Geheimnis. Hier gab es kein Chaos, keine Verwirrung, kein wildes Getöse. Es schien die allumfassende Heiterkeit einer großen und endgültigen Versammlung zu sein, und mit endgültig meine ich, es schien, als entfalte sich etwas fortschreitend hin zu einer Art alles umfassenden Lösung. Ein Wunder immerwährender Enthüllungen, ein sich zusammenfügendes wachsendes Verständnis, an dem jedermann teilhatte, gleich wie er sich beschäftigte, ob er eilte oder über Pfade, Hügel und Täler dahinschlenderte (oder in einigen wenigen Fällen fast untätig dasaß), ob er sich in grüner Natur bewegte oder in Gebäuden, die eines aus dem anderen zu wachsen schienen, völlig verschieden von allen, die ich auf Erden je gesehen hatte.
    Nirgends entdeckte ich so etwas wie ein wirkliches Haus oder einen Palast. Nein, die Architektur war unendlich viel größer und so lichtdurchflutet wie die Landschaft draußen, mit Fluren und Treppen, die sich in vollkommener Harmonie verzweigten. Reiche Ornamente schmückten jedes Teil, und die Oberflächen und Materialien variierten in einem Maße, daß ich mich in jedes einzelne auf ewig hätte vertiefen können.
    Ich kann das Gefühl der Gleichzeitigkeit meiner Beobachtungen nicht wiedergeben, deswegen erzähle ich eins nach dem anderen. Ich kann nur einige Teile dieser grenzenlosen, glanzvollen Welt schildern und mein eigenes fehlbares Licht über alles leuchten lassen.
    Bogengänge, Türme, weite Hallen und Galerien, Gärten, ausgedehnte Felder, Wälder und Ströme sah ich. Eins fügte sich ins andere, und durch all dies wanderte ich, neben mir Memnoch, der mich mit festem, sicherem Griff hielt. Immer wieder wurden meine Augen von einer überaus schönen Skulptur, einer in Kaskaden herabfallenden Blütenpracht oder einem riesigen, ins wolkenlose Blau aufragenden Baum angezogen, so daß Memnoch mich, als hinge ich an einer Sicherheitsleine, ohne die ich tödlich abstürzen könnte, wieder zu sich zurückholen mußte.
    Ich lachte und weinte gleichzeitig, und mein Körper wurde von Gefühlen erschüttert. Ich versuchte, über Memnochs Schulter, um seinen Körper herum zu spähen und wand mich in seinem Griff wie ein Kind. Zugleich versuchte ich. Blickkontakt mit dem einen oder anderen Wesen aufzunehmen, das mich zufällig ansah, oder einen Moment zum Verweilen in all den sich hin und her bewegenden Gruppen und Ansammlungen zu finden.
    Dann waren wir plötzlich in einer sich weithin ausdehnenden Halle. »Gott, wenn das doch David sehen könnte!« rief ich; ungezählte Berge von Büchern und Schriftrollen gab es hier, und an der Art, wie diese Dokumente offen dort ausgebreitet lagen, zu Einblick und Untersuchung bereit, schien nichts unlogisch oder verwirrend.
    »Geh nicht hin, nichts wird in deiner Erinnerung haften bleiben«, sagte Memnoch und nahm mich erneut an die Hand wie ein herumwuselndes Kleinkind. Ich hatte versucht, nach einer Rolle zu greifen, die eine erstaunliche Erklärung über Atome und Photonen und Neutrinos zum Thema hatte. Doch er hatte recht. Das Wissen war im Nu ausgelöscht, und während ich das Gleichgewicht verlor und gegen Memnoch taumelte, umgab uns wieder der unermeßliche Garten.
    Ich blickte zu Boden und sah Blumen von großartigster Perfektion und auf einer Entwicklungsstufe, die die Blumen unserer Welt erst noch erreichen mußten! Ich weiß nicht, wie sonst ich die Vollkommenheit der Blütenblätter, der Staubgefäße, der Farben beschreiben soll. Die Farben selbst waren so eindeutig, so fein umrissen, daß ich mir plötzlich nicht mehr sicher war, ob sie mit unserem irdischen Spektrum überhaupt in Zusammenhang standen. Also ich meine, daß es über unser Farbspektrum hinaus noch Farben gibt! Ich denke, es

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