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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Nacht versagte - wir hatten es ausprobiert -, war ich zu schwach, um mich aus dem Sarkophag zu erheben. Das bedeutete also, dass ich, sollte ich je auf mich selbst gestellt sein, mindestens jede vierte Nacht töten musste.
    Meine ersten Monate waren eine einzige Orgie. Jeder Tötungsakt schien erregender, schien mit noch lähmenderem Entzücken einherzugehen als der vorherige. Der bloße Anblick einer nackten Kehle konnte mich in einen derartigen Zustand der Erregung versetzen, dass ich wie ein wildes Tier wurde, unfähig zu sprechen oder mich zurückzuhalten. Wenn ich in der kalten Finsternis des Steinsarges die Augen aufschlug, stellte ich mir menschliches Fleisch vor. Ich fühlte es schon unter meinen bloßen Händen und mich verlangte danach, und die Nacht konnte mir nichts Besseres bieten, als meine machtdurchströmten Hände auf jemanden zu legen, der meiner Gier zum Opfer fallen sollte.
    Lange Minuten, nachdem ich getötet hatte, durchpulsten mich die erlesensten Gefühle, wenn das warme, duftende Blut sich in alle Winkel meines Körpers drängte, wenn es seine wunderbare Wärme in mein Gesicht strömen ließ.
    Dies, und dies allein, genügte schon, mich voll und ganz zu vereinnahmen, jung, wie ich war.
    Doch Marius hatte nicht die Absicht, mich in Blut waten zu lassen, ein übereifriges Raubtier ohne einen anderen Gedanken, als sich Nacht für Nacht an Blut zu berauschen.
    »Du musst nun damit beginnen, dich ernstlich mit dem Studium von Geschichte und Philosophie und den Rechtswissenschaften zu befassen«, mahnte er mich. »Dein Schicksal hat dir nicht die Universität von Padua bestimmt. Dein Schicksal ist es, die Ewigkeit zu ertragen.«
    Also zwang er mich an die Bücher, wenn wir unsere heimliche Mission durchgeführt hatten und wieder nach Hause zurückgekehrt waren. Er wünschte zudem eine gewisse Entfernung zwischen mir und Riccardo wie auch den anderen Jungen, damit sie wegen der Veränderung, die eingetreten war, keinen Argwohn hegten. Er sagte sogar, dass sie von der Umwandlung »wussten«, auch wenn sie es sich nicht klar machten. Ihre Körper waren sich der Tatsache bewusst, dass ich kein Mensch mehr war, obwohl ihr Geist doch noch länger brauchte, um die Tatsache zu akzeptieren.
    »Zeig ihnen nur Freundlichkeit und Liebe, nur größte Duldsamkeit, aber halte Abstand«, erklärte Marius mir. »Wenn es dann so weit ist, dass sie das Undenkbare als Realität akzeptieren, wirst du sie schon überzeugt haben, dass du für sie kein Feind bist, dass du immer noch der Amadeo bist, den sie lieben, und dass du, auch wenn du verändert bist, dich doch ihnen gegenüber nicht verändert hast.«
    Das verstand ich natürlich und fühlte jäh eine noch tiefere Liebe zu Riccardo, ja, zu allen Jungen hier.
    »Aber, Herr«, fragte ich, »wirst du nie ungeduldig mit ihnen, weil sie so langsam denken, weil sie so ungeschickt sind? Ich habe sie lieb, ja, aber mit Sicherheit siehst du sie doch in einem noch unvorteilhafteren Lichte als selbst ich?«
    »Amadeo«, antwortete er sanft, »sie alle werden einmal sterben.« Und seine Miene war zutiefst bekümmert.
    Ich spürte es unmittelbar und in seiner ganzen Schärfe, das hatten die Gefühle nun immer so an sich - sie überkamen mich wie ein Sturm, der ihre Botschaft ohne Umwege übermittelte.
    Ja, sie werden alle einmal sterben. Und ich bin unsterblich. Es gibt zu viel zu berichten, viel zu viel. Ich sehe keine Möglichkeit, alles, was mir allein schon in den ersten Monaten so deutlich wurde, niederzuschreiben. Und es gab keine Belehrung, die nicht zu einem späteren Zeitpunkt noch vertieft worden wäre.
    Wohin ich auch schaute, sah ich Fortschritt. Ich spürte Verderbtheit, aber ich sah auch das Wunder des Wachstums, den Zauber, der im Blühen und Gedeihen der Dinge lag, und tatsächlich entzückte und erregte mich jeder Prozess, ob er hin zu größerer Reife führte o der hin zum Grabe, außer natürlich der Zerfall des menschlichen Geistes. Mein Politik- und Rechtsstudium war schon eine größere Herausforderung. Obwohl ich nun unglaublich schnell lesen konnte und beinahe sofort den Aufbau der Sprache verstand, musste ich mich nachgerade dazu zwingen, mich mit der Geschichte des Römischen Rechts zu befassen und mit dem großen Gesetzeswerk des Kaisers Justinian, dem Corpus Juris Civilis, das mein Herr für eines der besten veröffentlichten Gesetzeswerke hielt.
    »Die Welt wendet sich immer mehr zum Guten«, erläuterte Marius mir. »Mit jedem fortschreitenden

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