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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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meiner Erziehung. Ich musste nun nicht mehr auf eine sterbliche Lebensspanne vorbereitet werden, sondern auf die Ewigkeit.
    Mein Herr ließ mich wissen, dass er schon vor mehr als Fünfzehnhundert Jahren zu einem Vampir gemacht worden war, und dass unsere Art über die ganze Welt verstreut existierte. Heimlich, misstrauisch und oftmals elendig einsam, waren die Wanderer der Nacht, wie Marius sie nannte, vielfach nur schlecht auf die Unsterblichkeit vorbereitet worden und machten nicht das Geringste aus ihrer Existenz, die nur eine Abfolge trübseliger Erfahrungen war, bis Verzweiflung von ihnen Besitz ergriff und sie sich selbst in einem grausigen Feuerwerk verbrannten oder sich dem Sonnenlicht aussetzten.
    Was die sehr Alten betraf, die, die es wie mein Herr geschafft hatten, dem Vergehen von Reichen und Epochen zu widerstehen, so waren sie meistens ziemlich misanthropisch eingestellt und suchten sich häufig eine Stadt, in der sie inmitten von Sterblichen allein herrschen konnten und alle Zöglinge vertrieben, die sich in ihrem Territorium breitmachen wollten, selbst wenn das bedeutete, dass sie ihre eigene Art töten mussten.
    Venedig war unstreitig das Territorium meines Gebieters, sein Jagdrevier und seine ganz private Arena, in der er den Vorsitz über die Spiele rührte, die seinem Leben in diesem Abschnitt Sinn verliehen. »Du musst auf meine Worte hören, denn meine Lektionen sind zuerst und vor allem Lektionen in der Kunst des Überlebens. Die Feinheiten kommen später an die Reihe«, belehrte er mich.
    Die allererste Lektion war die, dass wir nur den »Übeltäter« töteten. Dies war einst, in den trübsten Jahrhunderten der Frühzeit, eine ernste Aufgabe für die Bluttrinker gewesen, und in heidnischer Zeit hatte es sogar eine düstere Religion gegeben, in der die Vampire als Götter betrachtet wurden, die an denen, die gefehlt hatten, Gerechtigkeit übten.
    »Einen solchen Aberglauben dürfen wir nie wieder um unsere Art und um das Geheimnis unserer Macht entstehen lassen. Wir sind nicht unfehlbar. Wir haben keinen Auftrag von Gott. Wir durchstreifen die Erde nicht anders als die gewaltigen Raubkatzen in den Tiefen des Dschungels und haben nicht mehr Anspruch auf die, die wir töten, wie jede andere Kreatur, die überleben will.
    Prinzipiell muss ich sagen, dass das Töten Unschuldiger zum Wahnsinn führt. Du musst mir glauben, wenn ich dir sage, dass du um deines Seelenfriedens willen nur von den Übeltätern trinken darfst. Du musst lernen, sie in ihrem ganzen Dreck und Elend zu lieben, und du musst dich von den Visionen des Bösen nähren, die dir deine Opfer während des Tötungsaktes übermitteln. Wenn du die Schuldlosen tötest, wirst du früher oder später von Schuldgefühlen übermannt werden, und damit einher geht Ohnmacht und schließlich Verzweiflung. Du magst dich in dem Glauben wiegen, dass du zu erbarmungslos und zu kalt dafür bist. Du magst dich den Menschen überlegen fühlen und deine raubtierhaften Ausschweifungen damit entschuldigen, dass du nur das für dein eigenes Leben notwendige Blut suchst. Doch auf lange Sicht wird das nicht funktionieren.
    »Auf lange Sicht gesehen wirst du feststellen, dass in dir mehr von einem Menschen als von einem Ungeheuer steckt. Alles Edle in dir entspringt deiner Menschlichkeit, und deine überhöhte Natur wird dich nur umso stärker dazu treiben, die Menschen zu schätzen. Es wird so weit kommen, dass du Mitleid mit denen hast, die du tötest, und seien sie noch so unbußfertig, und es wird dazu rühren, dass du die Menschen so verzweifelt liebst, dass du in manchen Nächten den Hunger einer Blutmahlzeit vorziehst.«
    Ich akzeptierte seine Lehren von ganzem Herzen und stürzte mich mit meinem Herrn in den dunkeln Bauch Venedigs, in die wüste Welt der Tavernen und des Lasters, die ich zuvor als der mysteriöse, samtbehängte »Lehrling« des Marius de Romanus nie erlebt hatte. Natürlich kannte ich Orte, wo der Alkohol floss, ich kannte die edlen Kurtisanen, solche wie unsere liebste Bianca, doch die Diebe und Mörder Venedigs kannte ich nicht wirklich, und von diesen ernährte ich mich nun.
    Sehr bald schon verstand ich, was mein Herr meinte, wenn er sagte, ich müsse den Geschmack für das Böse entwickeln und pflegen. Die Visionen, die meine Opfer mir übermittelten, wurden mit jedem Tötungsakt eindringlicher. Ich begann, strahlende Farbenspiele zu sehen, während ich tötete. Tatsächlich war es manchmal so, dass ich diese Farben um meine

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