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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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von ganz anderer Bauart ging, dort verstand ich zum ersten Mal, was mein Herr meinte.
    Du musst verstehen, ich hatte Florenz früher schon gesehen, als ich ein sterblicher Lehrling - mit meinem Herrn und gemeinsam mit einigen anderen Jungen auf Reisen war. Doch dieser kurze Einblick war nichts gegen das, was ich als Vampir wahrnehmen konnte. Ich konnte nun die Maßstäbe eines kleinen Gottes anlegen.
    Doch es war Nacht, und die Stadt war der üblichen Sperrstunde unterworfen. Die Gemäuer in Florenz schienen mir dunkler, trist, gemahnten an eine Festung, die Straßen waren eng und trübe, da sie nicht wie unsere daheim durch den Widerschein des Lichts auf den Wasserwegen erhellt wurden. Den Palästen in Florenz fehlten die ausgefallenen maurischen Ornamente, die hochglanzpolierten, fantasievollen steinernen Fassaden, die Venedigs Prachtstraßen auszeichneten. Hier hielten sie ihre Pracht unter Verschluss, wie es viele italienische Städte taten. Und doch war Florenz reich, dicht bevölkert und ein Genuss für das Auge.
    Es war immerhin Florenz - der Sitz eines Mannes, den man Lorenzo den Großartigen nannte, und der erst vor wenigen Jahren gestorben war, diese eindrucksvolle Gestalt, die das Wandbild beherrschte, das ich in der Nacht meiner Wiedergeburt bei meinem Eintritt ins Reich der Finsternis gesehen hatte.
    Wir fanden die Stadt unerlaubt munter, obwohl es schon sehr dunkel war. Gruppen von Männern und Frauen lungerten auf den mit hartem Pflaster versehenen Straßen herum, und eine Art düsterer Rastlosigkeit hüllte die Piazza della Signoria ein, einer der wichtigsten Plätze der Stadt.
    Offensichtlich hatte es an jenem Tag eine Hinrichtung gegeben, kaum ein ungewöhnliches Ereignis in Florenz - oder, was das betraf, auch in Venedig. Jemand war verbrannt worden, ich roch Holz und verkohltes Fleisch, wenn auch die sichtbaren Überreste bis zum Einbruch der Nacht beseitigt worden waren. Ich hatte eine natürliche Abneigung gegen so etwas, die im Übrigen nicht jedem eigen ist, deshalb schob ich mich vorsichtig an den Schauplatz heran, weil ich nicht wollte, dass mich irgendwelche scheußlichen Reste dieser grausamen Tat durch meine verschärften Sinne schmerzlich berührten.
    Marius hatte uns Jungen immer ermahnt, diese Spektakel nicht zu »genießen«, sondern uns geistig an die Stelle des Opfers zu versetzen, um aus dem Anblick eine gründliche Lehre zu ziehen.
    Wie du aus der Geschichte weißt, waren die Massen, die eine Hinrichtung besuchten, oft erbarmungslos und quälten das Opfer manchmal sogar, aus einem Gefühl der Furcht heraus, denke ich. Wir, die Jungen, die Marius unter seine Fittiche genommen hatte, hatten es immer schrecklich belastend gefunden, uns mit dem Verurteilten zu identifizieren, ob er nun dem Strick oder dem Feuer überantwortet wurde. Im Großen und Ganzen hatte er uns damit den ganzen Spaß a n der Sache genommen. Natürlich konnte Marius bei diesen Ritualen nie anwesend sein, da sie in der Regel bei Tage stattfanden.
    Und nun, als wir in die große Piazza einbogen, sah ich deutlich, dass er den Ascheschleier und den widerlichen Gestank, die noch in der Luft hingen, missbilligend wahrnahm.
    Ich bemerkte auch, dass wir, zwei düster verhüllte, rasch dahinhuschende Gestalten, ganz leicht an anderen Leuten vorbeischlüpften. Unsere Füße bewegten sich fast geräuschlos. Dank unserer vampirischen Fähigkeiten konnten wir verstohlen dahingleiten und so ganz geschwind der zufälligen Beobachtung durch Sterbliche mit instinktiver Eleganz ausweichen.
    »Es ist, als seien wir unsichtbar«, sagte ich zu Marius, »als wenn nichts uns etwas antun könnte, weil wir nicht wirklich hierhergehören und schon bald wieder verschwunden sind.« Ich hob den Blick zu den trutzigen Befestigungen an der Front des Platzes. »Ja, aber halte dir immer vor Augen, dass wir nicht unsichtbar sind«, flüsterte er zurück. »Wer musste heute hier wohl sterben? Die Leute leiden Qualen und Ängste. Hör doch! Man spürt Befriedigung, aber auch Trauer.« Er gab keine Antwort. Ich wurde nervös.
    »Was ist los? Das muss etwas Ungewöhnliches gewesen sein. Die ganze Stadt ist hellwach und unruhig.«
    »Es war ihr berühmter Reformator, Savonarola«, sagte Marius. »Er wurde heute getötet, erst gehängt, dann hier verbrannt. Gott sei Dank war er schon tot, als die Flammen an ihm leckten.«
    »Du möchtest Gnade für Savonarola?«, fragte ich. Ich war verblüfft. Dieser Mann, den einige Leute als großen Reformator

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