Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
ihrer Seite, ließ die Leidenschaft, die sie schüttelte, auf mich übergehen, spürte schließlich, wie sie abklang, wie ihr Körper abkühlte und sie schläfrig zu werden schien. Sie wandte den Kopf ab. Ihr Gesicht war friedlich. Die geschlossenen Lider zeichneten die wunderbare Form ihrer Augen nach. Ihre Lippen öffneten sich leicht, unaffektiert, und sie seufzte leise.
Marius schob ihr das Haar aus dem Gesicht und glättete die kleinen unordentlichen Ringellöckchen, die auf der feuchten Haut klebten, dann küsste er sie auf die Stirn.
»Schlaf nun, in dem Wissen, dass du in Sicherheit bist«, sagte er zu ihr. »Ich werde stets auf dich aufpassen. Du hast Amadeo gerettet.« Er flüsterte: »Du hast ihn am Leben erhalten, bis ich kommen konnte.« Wie im Traum wandte sie sich ihm zu und sah mit glänzendem, trägem Blick zu ihm auf. Dann fragte sie: »Ist meine Schönheit nicht Grund genug, um von dir geliebt zu werden?«
Plötzlich erkannte ich, dass ihre Worte bitter klangen, dass sie ihm etwas anvertraute. Ich konnte ihre Gedanken fühlen!
»Ich liebe dich, egal, ob du goldene Kleider trägst oder mit Perlen geschmückt bist, egal, ob du kluge Reden rührst, egal, ob du diese eleganten, hellen Räume bietest, in denen ich ruhen kann. Ich liebe dich wegen deiner Herzensgüte, weil du zu Amadeo gegangen bist, ohne Rücksicht auf die Gefahr, denn die, die den Engländer kannten oder mochten, hätten dir etwas antun können. Ich liebe dich wegen deines Mutes und wegen deines Wissens um die Einsamkeit.« Ihre Augen wurden groß. »Wegen meines Wissens um die Einsamkeit? Oh, ich weiß tatsächlich nur zu gut, was es heißt, ganz allein zu sein.«
»Ja, du tapferes Mädchen, und nun weißt du auch, dass ich dich liebe«, flüsterte er. »Dass Amadeo dich liebt, das wusstest du schon längst.«
»Ja, ich liebe dich wirklich«, sagte ich, sie fest im Arm haltend. »Nun, du weißt jetzt, dass ich dich ebenfalls liebe.«
Sie betrachtete ihn eingehend, soweit es ihr schläfrig melancholischer Zustand zuließ. »Mir liegen so viele Fragen auf der Zunge«, sagte sie. »Sie sind nicht wichtig«, antwortete Marius und küsste sie. Ich glaube, er ließ es zu, dass sie mit der Zunge seine Zähne fühlte. »Gib mir deine Fragen, ich werfe sie über Bord. Schlaf, mein jungfräuliches Herz. Liebe, wen du willst. Die Liebe, die wir für dich hegen, behütet dich.« Das war das Zeichen für unseren Rückzug.
Während ich noch am Fuß des Bettes stand, zog er die bestickten Decken über sie, schlug sorgfältig das feine flämische Leintuch über den Rand der raueren weißen Wolldecke. Dann küsste er sie abermals, aber wie ein kleines Mädchen lag sie schon, entspannt und sicher, in festem Schlaf.
Als wir draußen am Rande des Kanals standen, hob Marius die behandschuhte Hand an die Nase und sog genüsslich den Duft Biancas ein, der noch daran haftete.
»Du hast heute viel gelernt, nicht wahr? Du kannst ihr zwar nicht sagen, wer du bist, aber siehst du, wie nah du ihr trotzdem sein kannst?«
»Ja«, gab ich zu. »Aber nur, wenn ich im Gegenzug nichts von ihr verlange.«
»Nichts?«, fragte er mit vorwurfsvollem Blick. »Sie hat dir Liebe, Zuneigung, Intimität geschenkt. Was wolltest du noch als Gegengabe?«
»Jetzt nichts, das hast du mich gut genug gelehrt. Aber früher besaß ich ihr Verständnis, sie war ein Spiegel, in dem ich mich betrachten und mein eigenes Reifen beurteilen konnte. Dieser Spiegel kann sie nicht mehr sein, nicht wahr?«
»Doch, in vieler Hinsicht schon. Zeig ihr durch Gesten und simple Worte, was du bist. Du brauchst ihr nichts von Bluttrinkern zu erzählen, das würde sie nur zum Wahnsinn treiben. Sie kann dir viel Trost spenden, ohne je wissen zu müssen, was dich schmerzt. Und du, du musst daran denken, dass ihr alles zu erzählen hieße, sie zu vernichten. Das stell dir nur immer wieder vor.«
Ich schwieg für einen Augenblick.
»Dir geht etwas durch den Kopf«, sagte er, »du hast diesen ernsten Blick. Sag’s mir!«
»Kann sie zu dem gemacht werden, was wir -«
»Amadeo, das verschafft dir eine weitere Lektion. Die Antwort ist Nein.«
»Aber sie wird alt werden und sterben, und -«
»Das ist nun einmal der Lauf der Dinge. Amadeo, wie viele von uns kann es geben? Und was für Gründe haben wir, sie zu einer von uns zu machen? Und würden wir sie für immer als Gefährtin wollen? Würden wir sie als Schülerin wollen? Wolltest du ihre Schreie h ören, wenn das magische Blut sie in den
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