Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
weil mein Kopf noch dröhnte, und ich verzog mein Gesicht zu einer halsstarrigen Maske aus Verachtung, so dass er jäh in Gelächter ausbrach. Auch ich begann zu lachen.
»Aber wirklich, Marius«, sagte ich, Frechheit in der Stimme, »was sind das für Geschöpfe, von denen du sprichst? Du kommst ganz elend heim. Das weißt du selbst, Herr. Also was sind sie, und warum muss man sie bewahren?«
»Amadeo, frag mich nicht weiter. Manchmal, kurz vorm Morgengrauen, wenn meine Ängste am größten sind, bilde ich mir ein, dass wir unter den Bluttrinkern Feinde haben und dass sie nicht fern sind.«
»Andere Bluttrinker? So mächtig wie du?«
»Nein, die, die in früheren Jahren kamen, waren mir nie ebenbürtig, deswegen sind sie nicht mehr.«
Ich war fasziniert. Er hatte schon einmal solche Andeutungen ge macht, dass er unser Terrain nicht mit anderen teilte, aber er wollte sich nicht näher darüber auslassen. Doch nun schien sein Elend ihn weich zu stimmen, so dass er eher bereit war, etwas zu sagen.
»Aber ich stelle mir vor, dass da noch andere sind, dass sie kommen und unseren Frieden stören. Sie haben keinen Grund dazu. Den haben sie nie. Möglicherweise wollen sie selbst in Venetien auf die Jagd gehen, oder sie haben sich zu einer kleinen, willigen Truppe zusammengeschlossen und versuchen, uns aus Spaß an der Sache zu vernichten. Ich denke mir … aber die Hauptsache ist, mein Kind - und du bist mein Kind, du Naseweis! -, dass ich dir über die alten Geheimnisse nicht mehr erzähle als nötig. So kann niemand deinen noch im Lernen begriffenen Geist nach den düstersten Geheimnissen durchstöbern, ob du nun daran mitwirkst oder ohne dass du es weißt oder gegen deinen Willen.«
»Wenn es für uns einen wissenswerten geschichtlichen Hintergrund gibt, solltest du es mir sagen, Herr. Was sind das für uralte Geheimnisse? Du mauerst mich hinter Bücherwänden mit menschlicher Geschichte ein. Du hast mich Griechisch lernen lassen, und selbst diese elende ägyptische Schrift, die sonst keiner kennt, und dauernd muss ich dir vortragen, was ich über das alte Rom und Athen weiß und über jeden Kreuzzug, der je ins Heilige Land aufgebrochen ist. Aber was ist mit unserer Art?«
»Wir waren schon immer da«, sagte er. »Das habe ich dir schon einmal gesagt. Wir sind alt wie die Menschheit. Immer da gewesen, und immer nur wenige, und immer bekämpfen wir uns. Es ist am besten, wir bleiben allein und suchen nur die Liebe von einem oder höchstens zweien unserer Art. Das ist der geschichtliche Hintergrund, ganz schlicht und einfach. Ich denke, ich lasse es dich aufschreiben, in allen fünf Sprachen, die du kennst.«
Er sackte aufs Bett, frustriert, und seine schmutzigen Stiefel gruben sich in den Satin. Er ließ sich in die Kissen sinken, wirklich wund an seiner Seele und irgendwie seltsam und verletzlicher.
»Marius, komm schon«, schmeichelte ich. Ich stand an seinem Schreibtisch. »Was sind das für alte Geheimnisse? Jene , die bewahrt werden müssen, was sind das für Wesen?«
»Geh runter, grab in unsern Verliesen«, sagte er sarkastisch. »Da findest du Statuen aus den heidnischen Zeiten, wie man sie nennt. Da findest du Dinge, die genauso nützlich sind wie jene die bewahrt werden müssen. Lass mich damit in Ruhe. Ich werde es dir eines Nachts erzählen, aber erst einmal gebe ich dir, was allein zählt. Du solltest in meiner Abwesenheit lernen. Nun lass mich hören.«
Tatsächlich hatte er verlangt, dass ich mich mit Aristoteles beschäftigen sollte, nicht anhand der üblichen Texte, die man überall kaufen konnte, sondern er hatte mir einen alten Text aus seinem Besitz gegeben, in reinem Griechisch, wie er sagte. Ich hatte ihn gelesen.
»Aristoteles«, sagte ich. »Und Thomas von Aquin. Ah, ja, große Gedankengebäude geben Trost, und wenn wir merken, dass wir in Verzweiflung versinken, sollen wir uns mit erhebenden Systemen des Nichts umgeben, und dann versinken wir nicht, sondern wir hängen an dem Gerüst, das wir uns selbst errichtet haben, genauso bedeutungslos wie das Nichts, aber zu ausführlich geschildert, um einfach fallen gelassen zu werden.«
»Sehr gut«, sagte er mit einem beredten Seufzer. »Vielleicht wirst du eines Nachts in ferner Zukunft zu einer etwas erfreulicheren Betrachtungsweise kommen, aber da du so munter und glücklich wie nur möglich zu sein scheinst, sollte ich mich nicht beklagen.«
»Wir müssen doch irgendwoher gekommen sein«, sagte ich, indem ich wieder auf das alte
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