Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
schicktest, habe ich es zuerst gar nicht geglaubt. Ich dachte, du wolltest die unvermeidliche Wahrheit abmildern.«
Sie war so süß, eine entzückende Blume! Ihr blondes Haar war in der Mitte gescheitelt, eine dicke Strähne rechts und links mit Perlen durchflochten und mit einer perlenbesetzten Spange am Hinterkopf zusammengefasst, die übrige Mähne fiel ihr in gelben, glänzenden Wellen a la Botticelli über die Schultern.
»Du hattest ihn so gut kuriert, wie es ein Mensch nur vermag«, sagte Marius. »Mir blieb nur noch, ihm den einen oder anderen der alten Heiltränke zu geben, die nur ich kenne. Und dann musste diese Kur ihre Wirkung tun.« Er sprach schlicht, aber für mich strahlte er Traurigkeit aus. Auch mich erfasste tiefe Traurigkeit. Ich konnte ihr nicht sagen, was ich war oder wie anders sie für mich nun war, wie so üppig von menschlichem Blut durchpulst sie im Vergleich zu uns schien, und wie ihre Stimme für mich einen ganz neuen Klang hatte, so rein menschlich, dass meine Sinne sachte erbebten, wenn sie nur ein Wort sagte.
»Nun, ihr seid beide hier, und ihr müsst jetzt wieder oft herkommen«, sagt sie. »Wir wollen nie wieder so lange getrennt sein. Marius, ich hätte euch besucht, aber Riccardo sagte mir, ihr wolltet nur Frieden und Ruhe. Ich hätte Amadeo aber gern gepflegt.«
»Ich weiß das, mein Schatz«, sagte Marius. »Aber wie ich schon sagte, was er brauchte, war das Alleinsein, und deine Schönheit ist ein Rauschmittel und deine Worte ein Stimulans, beides viel stärker, als du vielleicht glaubst.« Das klang nicht wie eine Schmeichelei, sondern wie ein ehrliches Bekenntnis.
Sie schüttelte ein wenig betrübt den Kopf. »Ich habe festgestellt, dass ich mich in Venedig nicht daheim fühle, wenn ihr nicht da seid.« Sie warf einen vorsichtigen Blick in Richtung des großen Salons, dann sprach sie gedämpft weiter: »Marius, du hast mich von denen befreit, die mich in ihrer Gewalt hatten.«
»Das war nicht schwer«, antwortete er. »Es war mir sogar ein Vergnügen. Wie widerlich diese Kerle doch auftraten! Wenn ich mich nicht irre, waren es doch deine Cousins, und sie waren so scharf darauf, dich und deine sagenhafte Schönheit für ihre verzwickten finanziellen Angelegenheiten zu nutzen!«
Sie errötete, und ich hob bittend die Hand, damit er nicht so streng mit ihr ins Gericht ging. Inzwischen wusste ich, dass er, während er die Florentiner getötet hatte, alles Mögliche in ihrem Geist gelesen hatte, von dem ich nichts ahnte.
»Cousins? Mag sein«, sagte sie. »Das habe ich bequemerweise vergessen. Was ich ohne Zweifel sagen kann, ist, dass sie der Schrecken derer waren, die sie zu teuren Darlehen und gefährlichen Geldanlagen verleiten konnten. Marius, es sind ganz merkwürdige Dinge passiert, Dinge, mit denen ich nie gerechnet hätte.«
Ihre zarten Züge zeigten eine Ernsthaftigkeit, die mir gefiel. Sie schien zu schön, um Verstand haben zu können.
»Ich stelle fest, dass mein Vermögen wächst, weil ich den größeren Teil meines Einkommens für mich behalten kann, und Leute, die dankbar sind, dass unser Bankier und Wucherer nicht mehr ist, überschütten mich - und das ist merkwürdig - mit zahllosen Geschenken, mit Gold und Juwelen, ja, sogar mit Schmuck, sieh, dieses Halsband, du weißt, es sind echte Perlen und alle in der gleichen Größe, eine ganze Schnur, sieh nur, und all solche Dinge schenkt man mir, obwohl ich hundert Mal versicherte, dass ich diese Tat nicht veranlasst habe.«
»Aber was ist, wenn man dich beschuldigt?«, fragte ich. »Besteht nicht die Gefahr einer öffentlichen Anklage?«
»Die haben niemanden, der sie verteidigt oder um sie trauert«, beeilte sie sich zu sagen. Sie drückte mir eine weitere Ladung Küsse auf die Wange. »Und vorhin waren wie immer Männer aus dem Großen Rat hier. Freunde von mir, die mir ein paar Gedichte vortrugen, um eine Weile vor ihren Mandanten und den endlosen Forderungen ihrer Familien Ruhe zu haben. Nein, ich glaube nicht, dass mich irgendwer wegen irgendetwas anklagen will, und außerdem wissen alle, dass ich in der Mordnacht hier war, in der Gesellschaft dieses grässlichen Engländers, Amadeo, der, der versucht hat, dich umzubringen, der natürlich …«
»Ja, was?«, fragte ich.
Marius sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. Er tippte leicht mit dem behandschuhten Finger gegen seine Schläfe. Lies ihre Gedanken, wollte er damit sagen. Aber ich konnte mich einfach nicht überwinden. Ihr Gesicht war zu
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