Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
auch, weil er nie zu mir zurückgekehrt war, um mir zu versichern, dass er das schreckliche Feuer überlebt hatte. Anstatt weitere Vampire zu schaffen, hatte ich mir Louis ausgesucht. Und nachdem ich Daniel umgewandelt hatte, fand ich meine Befürchtungen schließlich innerhalb kürzester Zeit bestätigt.
Daniel lebt, streift umher, benimmt sich mir gegenüber recht ordentlich und freundlich, aber er kann meine Gesellschaft nicht ertragen, genauso wenig wie ich seine. Mit meinem mächtigen Blut ausgerüstet, kann er sich mit jedem abfinden, der albern genug wäre, seine Pläne für einen Abend, einen Monat oder ein Jahr umzuwerfen, aber er kann sich nicht für länger mit meiner Gesellschaft abfinden, und das gilt umgekehrt für mich auch.
Ich habe Daniel von einem todessehnsüchtigen Romantiker in einen echten Killer verwandelt. In seinem Blut machte ich das Grauen wahr, das er seiner Vorstellung nach in meinem Blut hatte erkennen können. Ich habe ihm die erstbeste Unschuld in die Arme gestoßen, als er trinken musste, um seinen ersten großen Durst zu stillen, und so fiel ich von dem Podest, auf das er mich in seinem verwirrten, mit übermäßiger Fantasie gesegneten, feurig poetischen und stets überfließenden menschlichen Geist gestellt hatte. Aber andere Vampire waren da, als ich Daniel verlor, oder genauer, als ich Daniel als Zögling gewann, verlor ich ihn als sterblichen Geliebten und ließ ihn nach und nach gehen.
Und andere waren da, weil ich wieder einmal, aus Gründen, für die ich weder mir noch anderen gegenüber e ine Erklärung finde, einen Orden gegründet hafte - einen Nachfolger des Ordens von Les Innocentes und des Théâtre des Vampires, und diesmal war es ein schicker, moderner Unterschlupf für die ganz Alten, die ganz Gelehrten, die ganz Zähen unserer Art. Es war ein Komplex luxuriöser Räume in der unwahrscheinlichsten Umgebung überhaupt - in einer modernen Ferienanlage mit einem Kaufhauspalast auf einer Miami vorgelagerten Insel, einer Insel, auf der die Lichter nie verloschen und die Musik nie zu spielen aufhörte, einer Insel, die Männer und Frauen zu Tausenden besuchten. Sie kamen in kleinen Booten vom Festland, um die teuren Boutiquen zu durchstöbern oder sich in üppigen, dekadenten, großartigen und immer nach dem letzten Schrei eingerichteten Suiten und Zimmern dem Liebesspiel hinzugeben.
»The Night Island« war meine Erfindung, mit eigenem Helikopterlandeplatz und eigenem Yachthafen, geheimen Spielhöllen und spiegelverkleideten Fitness-Studios. Es gab kristallklare Springbrunnen, silberglänzende Rolltreppen, Läden mit blendenden Konsumgütern bestückt, Bars, Restaurants, Gesellschaftsräume und Theater. Und, ausstaffiert mit edlem Samtjackett und engen Jeans, dunkler Sonnenbrille und stets frisch geschnittenem, kurzem Haar (weil es jeden Tag aufs Neue auf seine alte Renaissance-Länge zurückwächst), durchstreifte ich dies alles ungestört und anonym, trieb in dem sanft liebkosenden Murmeln der Sterblichen ringsum, und wenn der Durst mich trieb, suchte ich genau das eine Individuum, das wirklich nach mir verlangte, das eine Individuum, das sich, sei es aus gesundheitlichen Gründen oder weil es arm war, ob zurechnungsfähig oder auch nicht, in die umschlingenden, niemals überwältigenden Arme des Todes sehnte und sich Blut und Leben gänzlich aussaugen lassen wollte.
Ich musste nicht hungern. Und anschließend versenkte ich meine Opfer im warmen, sauberen Wasser der tiefen karibischen See. Ich ließ jeden Untoten über meine Schwelle, der bereit war, sich vorher die Füße abzutreten. Es war, als wären die alten venezianischen Zeiten wieder angebrochen, als Biancas Palazzo jedem Herrn, jeder Dame und natürlich jedem Künstler, Dichter, Träumer oder Pläneschmied, der vorzusprechen wagte, offen stand.
Doch diesmal musste kein Haufen schwarz bekutteter Streuner kommen, um den Orden auf »Night Island« zu zerstören. Tatsächlich verschwanden die, die es sich eine Weile lang dort gemütlich gemacht hatten, einfach wieder von allein. Vampire suchen eigentlich nicht die Gesellschaft anderer Vampire. Sie wollen die Liebe eines anderen Unsterblichen, das ja, immer, sie brauchen sie, und sie brauchen das tiefe Band der Loyalität, das zwangsläufig zwischen denen wächst, die sich nicht befeinden. Aber ihre Gesellschaft wollen sie nicht. Und so waren meine wunderbaren, verglasten Salons des »Night Island« bald wieder leer, und ich selbst hatte schon lange vorher
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