Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
ihres Charmes und ihrer Klugheit -, um allein zu überleben. Ach, armes, schönes Geschöpf! Ihre gleich bleibend weiche Stimme, die aus einem winzigen, stets zum Küssen verlockenden Mund klang, wird mich auf ewig verfolgen.
Aber ich habe nicht ihre Exekution veranlasst. Ihr Tod war schrecklicher, als man sich je vorstellen könnte, und ich habe jetzt nicht die Kraft, davon zu erzählen. Nur eines: Ehe sie in den Luftschacht gedrängt wurde, um die Todesstrafe durch den Gott Phoebus zu erleiden, versuchte ich, ihr ihren liebsten Wunsch zu erfüllen, nämlich ihr den Körper einer Erwachsenen zu verschaffen, eine passendere Hülle für ihre übergroße Seele.
Nun, mit meinen ungeschickten alchemistischen Versuchen, Köpfe abzutrennen und sie ausgetauschten Körpern anzufügen, schlug ich fehl. Eines Nachts, wenn ich trunken bin vom Blut zu vieler Opfer und besser als jetzt daran gewöhnt zu beichten, werde ich davon erzählen, von dieser barbarischen, unheilvollen Operation, die ich vorsätzlich wie ein Zaubermeister und stümperhaft wie ein Schuljunge ausführte. Dann beschreibe ich alle grausigen, grotesken Einzelheiten des katastrophalen Etwas, das zuckend und sich windend unter meinem Skalpell mit Nadel und Faden entstand.
Lass mich nur sagen, dass sie wieder sie selbst war, als sie dem grausamen Morgenlicht ausgesetzt wurde, um mit klarem Verstand in den Tod zu gehen. Jedoch trug sie schreckliche Wunden, war nur noch ein zusammengeflicktes Sammelsurium des einst - vor meinen Experimenten - so engelhaften Kindes. Das Himmelslicht verwandelte sie in ein Standbild aus Asche und vernichtete das traurige, von Narben verunzierte Zeugnis meiner teuflischen Chirurgie. In der Folterkammer meines provisorischen Labors blieb nichts zurück, was auf ihre letzten Stunden hindeutete. Was ich hier sage, hätte also nie jemand erfahren müssen.
Viele Jahre lang hat sie mir die Ruhe geraubt. Ich konnte das Bild des Mädchenkopfes mit der zerzausten Lockenpracht einfach nicht aus meinem Gedächtnis löschen. Mit dicken, schwarzen Stichen war er ungeschickt am zuckenden, schwankenden Körper eines weiblichen Vampirs befestigt worden, dessen abgetrennten Kopf ich ins Feuer geworfen hatte.
Ach, es war eine große Katastrophe, dieses weibliche Ungeheuer mit dem kindlichen Kopf, nicht fähig zu sprechen, tanzte sie in irren Kreisen, das Blut quoll aus dem bebenden Mund, die Augen rollten wild und die Arme flogen auf und ab wie die gebrochenen Flügel eines Vogels.
Ich schwor mir, diese Tatsache für immer vor Louis de Pointe du Lac und allen, die mich je fragen würden, geheim zu halten. Sollten sie lieber denken, dass ich sie abgeurteilt und nichts getan hatte, um sie zu retten, sei es vor den Vampiren der Theatertruppe oder vor ihrem eigenen Dilemma, in dem kleinen, entzückenden, flachbrüstigen Kinderkörper mit der seidenweichen Haut gefangen zu sein. Nachdem meine Chirurgenkünste sich als die reinste Schlächterei erwiesen hatten, gab es keine Rettung mehr für sie, sie war eine Gefangene, der grausamsten Folter unterworfen, ihr blieb nur ein bitteres Lächeln, als sie zerfetzt und elend endgültig dem Schrecken des Scheiterhaufens überantwortet wurde. Sie war wie ein todkranker Patient in der nach Desinfektionsmitteln riechenden Zelle einer modernen Intensivstation, der, allein und endlich befreit von den übereifrigen Händen jugendlicher Ärzte, seinen Geist auf weißen Kissen aushauchte.
Genug. Ich will es nicht noch einmal durchleben.
Ich will es nicht.
Ich habe sie nie geliebt. Wie hätte ich sie lieben können? Ich führte meine Pläne in eisiger Distanziertheit und mit teuflischem Pragmatismus aus. Sie war sowieso schon verurteilt, war ein Nichts, ein Niemand, und damit das perfekte Exemplar für meine verschrobene Idee. Und darin bestand der heimliche Schrecken, der jeden Glauben an meine waghalsigen Experimente überschattete, auf den ich mich später vielleicht hätte berufen können. Und deshalb behielt ich, Armand, der ich im Laufe der Jahrhunderte schon die unsäglichsten, raffiniertesten Grausamkeiten gesehen hatte, das Geheimnis für mich, diese Geschichte, die nicht für die zarten Ohren eines verzweifelten Louis taugte, der die Beschreibung von Claudias Entwürdigung, von ihren Qualen, nicht hätte ertragen können, und der tief in seiner Seele ihren grausamen Tod nie verkraftet hat. Was die anderen betraf, meine dummen, zynischen Schäfchen, die so lüstern vor der Tür auf Claudias Schreie
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