Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
horchten, die vielleicht das Ausmaß meiner fehlgeschlagenen Hexenkunst errieten, diese Vampire starben alle durch Louis’ Hand. Ja, das ganze Theater musste für seinen Kummer und seine Wut zahlen, und das war vielleicht nur gerecht. Ich wage kein Urteil darüber.
Ich habe diese dekadenten, zynischen französischen Komödianten nicht geliebt, und die, die ich hätte lieben können, waren außer Reichweite, sah man von Louis de Pointe du Lac ab.
Für mich galt der stillschweigende Befehl: Ich muss Louis haben. Ich kannte keinen anderen, also mischte ich mich nicht ein, als er den Orden und das berühmte Theater in Schutt und Asche legte, als er kurz vor Morgengrauen mit Sense und Feuer bewaffnet unter Gefährdung seines eigenen Lebens zuschlug.
Warum ist er anschließend mit mir gegangen? Warum hat er den, den er für Claudias Tod verantwortlich machte, nicht verabscheut? »Du warst ihr Anführer, du hättest sie aufhalten können.«
Genau die Worte hat er zu mir gesagt.
Warum zogen wir so viele Jahre gemeinsam durch die Welt, trieben wie elegante Phantome, in Spitzen und Samt gehüllt wie in ein Totenhemd, den grellen elektrischen Lichtern und dem elektronischen Lärm der heutigen Zeit entgegen?
Er blieb bei mir, weil er nicht anders konnte. Nur so konnte er weiterleben - und den Tod zu suchen, dazu hat er nie den Mut gehabt und wird ihn nie haben.
Und deshalb ertrug er den Verlust Claudias, so wie ich die Jahrhunderte finsterer Kerkerhaft und die Jahre geschmackloser Boulevardspektakel ertragen hatte. Doch mit der Zeit lernte er, allein zu sein. Louis, mein Gefährte, trocknete seine Seele freiwillig aus, er war wie eine dieser prachtvollen Rosen, denen man durch Einbettung in Sand die Feuchtigkeit entzieht, so dass sie ihre Blätter, ja selbst den Duft und ihre Farbe behalten. Trotz all des Blutes, das er trank, wurde er ein vertrocknetes, herzloses Wesen, sich selbst entfremdet und auch mir. Da er die Grenzen meines verbogenen Geistes nur zu gut erkannte, vergaß er mich, lange, bevor er mich wirklich gehen ließ -Aber auch ich hatte von ihm gelernt. Für kurze Zeit, in Ehrfurcht vor der Welt erstarrt und auch verwirrt davon, machte ich allein weiter - vielleicht zum ersten Mal wirklich und wahrhaftig allein.
Aber wie lange können wir ohne Gefährten auskommen? Ich hatte selbst in den dunkelsten Stunden die alte, nonnengleiche Allesandra mit ihren alten Bräuchen gehabt, oder zumindest das Geplapper derer, die in mir ihren kleinen Heiligen sahen.
Warum verlangt uns in diesem letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts so sehr nach einander, und sei es nur für ein paar gelegentliche Worte und mitfühlende Bemerkungen? Warum haben wir uns hier in diesen alten, staubigen Klosterräumen versammelt, wo wir Lestat beweinen? Warum sind selbst die ganz Alten hergekommen, um mit eigenen Augen seine letzte, Schrecken erregende Niederlage zu sehen? Wir können es nicht ertragen, allein zu sein. Wir können es nicht ertragen, genauso wenig, wie es früher die Mönche ertragen konnten. Männer, die meinten, sie hätten für Christus alles aufgegeben, lebten trotzdem in Klöstern zusammen, um beieinander zu sein, selbst, wenn sie sich in harten Regeln Einsamkeit und Schweigen auferlegten. Sie konnten es nicht ertragen, allein zu sein.
Wir sind zu sehr auch Männer und Frauen, auch wir sind nach dem Bild des Schöpfers geformt, und was wissen wir schon ganz sicher von IHM zu sagen, außer, dass er, wer auch immer ER sein mag - Christus, Jahwe, Allah - uns geschaffen hat, denn selbst ER in seiner unendlichen Vollkommenheit konnte das Alleinsein nicht aushalten. Nach einiger Zeit rührte sich das Gefühl der Liebe natürlich wieder bei mir, der Liebe zu dem sterblichen, jungenhaften Daniel, dem Louis seine Geschichte anvertraut hatte, die unter dem absurden Titel »Interview mit einem Vampir« veröffentlicht wurde. Ich machte ihn später aus dem gleichen Grund zu einem Vampir, aus dem Marius mich vor so langer Zeit umgewandelt hatte: Der junge Mann, der mein treuer sterblicher Gefährte gewesen war, wenn auch manchmal eine Nervensäge, war dem Tode nahe.
Dass ich Daniel zu meinem Zögling umwandelte, hat nichts Mysteriöses an sich. Immer ist es Einsamkeit, die uns dazu bewegt. Aber ich hege den festen Glauben, dass die, die wir erschaffen, uns auf ewig deswegen verachten. Ich kann nicht behaupten, dass ich nicht manchmal für Marius Verachtung empfunden hätte, sowohl dafür, dass er mich zum Vampir gemacht hatte, als
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