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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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vielleicht ziehe ich ja vor, zu hoffen, dass sie es war, und möchte gar nichts davon hören, wie unwahrscheinlich das wäre.
    Ich musste dir das einfach erzählen. Ich glaube, es war Bianca. Aber nun zurück in das Paris um 1870 - ein paar Jahrzehnte danach -, zu dem Moment, als der junge Vampir aus der Neuen Welt, Louis, betrübt durch meine Tür trat, auf der Suche nach den Antworten auf die fürchterliche Frage, warum wir hier sind und zu welchem Zwecke. Wie traurig für Louis, dass er ausgerechnet mir diese Fragen stellte. Und wie traurig für mich.
    Wer hätte ihm mit kälterem Spott begegnen können als ich, als er mir seine Erlösungstheorie für die Geschöpfe der Nacht vortrug, die seiner Ansicht nach, da sie einmal menschlich gewesen waren, niemals von der Schuld des Brudermordes frei gesprochen werden konnten, da sie sich von menschlichem Blut nährten? Ich hatte den blendenden, klugen Humanismus der Renaissance erlebt, dann den finsteren Rückfall ins Asketentum des römischen Ordens und schließlich den frostlosen Zynismus der romantischen Epoche.
    Was konnte ich diesem Vampir mit dem hinreißenden Gesicht sagen, dieser nur zu menschlich gebliebenen Schöpfung des stärkeren und viel draufgängerischen Lestat, außer, dass Louis in der ganzen Welt genug Kraft spendende Schönheit fände, sich zu nähren, und dass er den Mut zum Überleben in seiner Seele finden musste, wenn er sich denn dafür entschied, weiterzuleben, und zwar ohne nach Bildern von Gott oder dem Teufel zu suchen, die ihm einen künstlichen, kurzen Frieden schenkten?
    Ich habe Louis nie meine eigene, bittere Lebensgeschichte erzählt, aber ich habe ihm das schmerzliche Geheimnis anvertraut, dass ich, der ich seit mehr als vierhundert Jahren unter den Untoten lebte, von keinem Bluttrinker wusste, der älter war als ich.
    Das Eingeständnis allein gab mir ein niederschmetterndes Gefühl der Einsamkeit, und als ich in Louis’ gequältes Gesicht sah, als ich seiner schlanken, zarten Gestalt folgte, die sich ihren Weg durch die Unordnung und das Paris des 19. Jahrhunderts bahnte, wusste ich, dass dieser schwarz gewandete Herr mit den anmutigen Gliedern und den empfindsamen Zügen, die verlockende Verkörperung meines eigenen Elends war.
    Er betrauerte den Verlust der Gnade seit einer menschlichen Lebensspanne. Ich betrauerte diesen Verlust seit Jahrhunderten. Dem Stil des Zeitalters verfallen, das ihn geprägt hatte - dem er seinen wehenden schwarzen Umhang verdankte, die feine, weiße Seidenweste, den hohen priesterhaften Kragen und die Rüschen aus makellosem Leinen, verliebte ich mich hoffnungslos in ihn, so dass ich das zerfallene Théâtre des Vampires hinter mir ließ (er ließ es aus gutem Grund wutentbrannt in Flammen aufgehen), und mit ihm zusammen bis in diese moderne Zeit hinein die Welt durchstreifte. Die Zeit zerstörte schließlich unsere Liebe zueinander. Die Zeit ließ unsere zarte Vertrautheit welken. Die Zeit verschlang, was wir an Gesprächen und Vergnügungen einst gern geteilt hatten. Noch etwas Schreckliches trug zum Zusammenbruch bei, unausweichlich und unvergesslich. Ah, ich will nicht davon sprechen, aber wer von uns würde es zulassen, dass ich über die Sache mit Claudia schweige, Claudia, der Kindvampir, dessen Vernichtung mir von allen auf ewig angelastet wird.
    Claudia. Wer von uns heutigen Vampiren, für die ich diese Geschichte hier diktiere, wer unter dem modernen Publikum, das diese Geschichten als Fiktion betrachtet, hat nicht eine lebharte Vorstellung von Claudia, dem goldlockigen Vampirkind, das Louis und Lestat eines Nachts in New Orleans in ihrer sündhaften Dummheit machten, dieses Vampirkind, das sich im Laufe der Jahre geistig und seelisch zu einer erwachsenen Frau entwickelte, während ihr Körper der einer kostbaren, fast schon zu vollkommenen Babypuppe aus zartem Porzellan blieb?
    Nach dem, was bekannt ist, wurde sie von meinem aus wahnsinnigen Schauspielern bestehenden Orden vernichtet, denn als sie mit Louis, ihrem traurigen, von Schuld zerfressenen Beschützer und Liebhaber im Théâtre des Vampires auftauchte, wurde vielen von uns nur zu klar, dass sie versucht hatte, ihren eigentlichen »Vater«, den Vampir Lestat, zu töten. Seinen Schöpfer zu töten oder auch nur, es zu versuchen, war ein todeswürdiges Verbrechen, aber sie selbst war schon in dem Moment verurteilt, als der Pariser Orden von ihr erfuhr. Denn sie war etwas Verbotenes, ein unsterbliches Kind, zu klein, zu schwach - trotz

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