Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
als Schauspieler für die Passionsspiele erwählt wurden. Und mit dem Schleier, dem Schweißtuch, das er aus der Hand Gottes empfangen hatte, floh unser Held, unser Lestat, unser Prometheus, aus diesem großen, grausigen Reich des Himmels und der Hölle und des Kreuzweges und schrie: »Nein!« Und: »Ich will nicht!« Und kam zurück, rannte atemlos und wie ein Wahnsinniger durchs verschneite New York, und wollte nur noch bei uns sein, ließ alles andere im Stich.
    In meinem Kopf drehte sich alles. In mir tobte ein Krieg. Ich konnte Lestat nicht ansehen.
    Und er redete immer weiter, wiederholte hier und da etwas, sprach abermals von den saphirblauen Gefilden des Himmels und von Engelschören, diskutierte mit sich selbst und mit dir und Dora darüber. Mir schienen die Gespräche wie splitterndes Glas. Ich konnte es nicht ertragen.
    Das Blut Christi in ihm? Das Blut Christi auf seinen Lippen, seinen unreinen Lippen, auf den Lippen eines Untoten, das Blut Christi, das ihn in ein monströses Ziborium verwandelte. Das Blut Christi? »Lass mich trinken!«, rief ich plötzlich. »Lestat, lass mich von dir trinken, lass mich dein Blut trinken - dein Blut, in dem auch Seines ist!« Ich konnte nicht glauben, dass ich das ernst meinte, dass ich so wild entschlossen war. »Lestat, lass mich trinken. Lass mich mit meiner Zunge und meinem Herzen nach diesem Blut suchen. Bitte, lass mich trinken! Du kannst mir diesen einen intimen Augenblick nicht verweigern. Und wenn es Christus war … wenn es …»Ich brachte es nicht über mich, weiterzusprechen.
    »Ach du verrüc ktes, dummes Kind«, sagte er. »Wenn du deine Zähne in meine Kehle schlägst, wirst du nichts anderes sehen als die Visionen, die wir von allen unseren Opfern empfangen. Du wirst sehen, was ich zu sehen dachte. Du wirst erfahren, was ich zu erfahren glaubte. Du wirst erfahren, dass mein Blut in meinen Adern rinnt, und das weißt du auch jetzt schon. Du wirst sehen, dass ich glaubte, es sei Christus, aber sonst nichts.« Er funkelte mich an, während er enttäuscht den Kopf schüttelte.
    »Nein, ich werde es wissen, wenn ich trinke«, sagte ich. Mit zitternden Händen stand ich vom Tisch auf. »Lestat, nur diese eine Umarmung, und ich werde dich in alle Ewigkeit um nichts mehr bitten. Meine Lippen an deiner Kehle, einmal. Ich will die Probe machen, bitte, erlaub es.«
    »Du brichst mir das Herz, du kleiner Dummkopf«, sagte er mit Tränen in den Augen. »Das ist dir stets gelungen.«
    »Behalte deine Meinung für dich!«, rief ich.
    Er ließ nicht ab, richtete sich direkt an mich, mit seinem Geist ebenso wie mit gesprochenen Worten. Ich wusste nicht, ob ihn die anderen überhaupt hören konnten. Aber ich hörte ihn. Ich würde nicht ein einziges Wort vergessen.
    »Und wenn es das Blut Gottes war, und nicht nur Teil eines riesigen, verlogenen Betruges«, sagte er, »was, Armand, was würdest du dann in mir finden? Geh hinaus, pack dir nach der Frühmesse ein Opfer, das gerade von der heiligen Kommunion kommt! Das wäre ein hübsches Spielchen, sich nur noch von solchen Opfern zu ernähren! Jeder, der zur Kommunion war, kann dir das Blut Christi geben! Ich sage dir, ich glaube diesen spirituellen Wesen nicht, nicht Gott, und nicht Memnoch, sie sind Lügner! Ich sage dir, ich weigere mich, ihnen zu glauben! Ich wollte da nicht bleiben, ich floh aus seiner Schule, ich verlor mein Auge, als ich mich gegen sie wehrte, sie haben es mir ausgerissen, sündhafte Engel krallten sich an mich, als ich entkommen wollte! Du willst das Blut Christi? Dann geh runter in die dunkle Kirche zur ersten Messe, schieb den verschlafenen Priester vom Altar fort, wenn du willst, und reiß ihm den Kelch aus der geweihten Hand. Los doch, los!«
    »Christi Blut!«, fuhr er fort, und sein Gesicht bestand nur noch aus seinem einen großen Auge, das mich mit einem gnadenlosen Strahl fixierte. »Wenn es je in mir war, dieses heilige Blut, dann hat mein Körper es schon längst verarbeitet, es verbrannt, wie Kerzenwachs den Docht verbrennt. Du weißt das! Was bleibt im Bauch der Gläubigen von Christus übrig, wenn sie die Kirche verlassen haben?«
    »Nein! Nein, wir sind keine Menschen!« Ich flüsterte, wollte durch die gedämpften Töne die zornige Nachdrücklichkeit meiner Worte mildern. »Lestat, ich würde es wissen! Es war Sein Blut, das du trankst, nicht Wein und Brot, nur umgewandelt. Sein Blut, Lestat! Und ich würde erkennen, wenn es in dir ist. Ach, lass mich doch trinken, ich bitte dich!

Weitere Kostenlose Bücher