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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sich diese Versammlung der Gläubigen. Die Kirche hatte keine Mauern, sie alle zu fassen, und selbst die gewölbten, mit reinstem blinkendem Gold verzierten Kuppeln ließen den hohen, unendlichen, blauen Himmel durchscheinen.
    Brennender Weihrauch stach mir in die Nase. Kleine, goldene Glöckchen l äuteten ringsum, das zarte, melodische Klingeln stieg und fiel in schneller Folge.
    Der Rauch brannte beinahe angenehm in meinen Augen, weil der Duft des Weihrauchs mir in die Nase drang und meine Augen tränen ließ. Und mein Gesichtssinn wurde eins mit allen anderen Sinnen. Als ich begeistert die Arme ausbreitete, bemerkte ich, dass sie von langen, goldgesäumten weißen Ärmeln verdeckt wurden und nur die Handgelenke frei blieben, die einen kleinen Pelz aus weichem Menschenhaar trugen. Das waren meine eigenen Hände, ja, aber so hätten sie erst viele Jahre später ausgesehen, wenn nicht die Jugend unsterblich in mir verankert worden wäre. Es waren die Hände eines erwachsenen Mannes.
    Aus meinem Mund strömte lauter Gesang, meine Stimme hallte laut über den Köpfen der Gemeinde, die ihre Stimmen als Antwort erschallen ließen. Und noch einmal sang ich diese innerste Überzeugung laut heraus, von der ich bis ins Mark durchdrungen war: »Christus ist erschienen. Die Inkarnation hat begonnen und wird nimmermehr enden!« Mir schien dieses Lied so vollkommen, dass mir die Tränen kamen, und als ich den Kopf beugte und mit gefalteten Händen niedersah, erblickte ich vor mir Brot und Wein - den runden Laib, der darauf wartete, gesegnet und gebrochen zu werden, und den Wein in seinem goldenen Kelch, bereit zur Wandlung.
    »Dies ist der Leib des Herrn, der sein Blut für uns vergoss, heute und früher und in alle Ewigkeit, und zu jeder Stunde unseres Lebens!« Meine Stimme schallte. Ich nahm das Brot, hob es auf, und ein breiter Lichtstrahl floss daraus hervor, und die Gemeinde stimmte eine jubelnde Lobeshymne an.
    Ich hielt den Kelch in der Hand. Ich hob ihn hoch in die Luft, während die Glocken in allen Türmen läuteten, ach, so viele Türme, die sich an die Türme dieser gewaltigen Kirche drängten und sich meilenweit in alle Richtungen erstreckten, die ganze Welt war ein fantastischer Wald aus Kirchen und Türmen, und hier neben mir läuteten die kleinen, goldenen Glöckchen.
    Wieder stieg ein Schwall Weihrauch auf. Ich setzte den Kelch nieder und betrachtete das Meer der Gesichter, das sich unter mir erstreckte, dann richtete ich den Blick himmelwärts auf die verblassenden Mosaiken, die sich mit den hohen weißen Wolkenballen paarten. Unter dem Himmel sah ich goldene Kuppeln.
    Ich sah die sich endlos hinstreckenden Dächer der Vorstadt Podil. Ich wusste nun, das war Wladimirs Stadt in all ihrer einstigen Herrlichkeit, und ich stand in dem großen Heiligtum, der Santa Sophia. Alles, was mich von meinem Volk getrennt hatte, war niedergerissen, und alle Kirchen, die in meiner trüben Kindheit nur Ruinen waren, hatten ihre alte Pracht zurückerlangt. Die goldenen Kuppeln Kiews tranken das Sonnenlicht in sich hinein und warfen es mit einer Kraft zurück, als badeten unzählige Planeten im ewigen Feuer von Millionen Sternen. »Mein HERR! Mein Gott!«, rief ich aus. Ich betrachtete meine glanzvollen bestickten Gewänder, die grüne, starre Seide und die Fäden aus reinem Gold. Rechts und links umgaben mich meine Brüder in Christi, bärtige Männer mit glühenden Augen, die gemeinsam mit mir die Choräle sangen, so dass sich unsere Stimmen mischten, als wir von Hymne zu Hymne eilten und Notenfolgen sangen, die sich, beinahe als wären sie sichtbar, ins luftige Firmament aufschwangen. »Teilt aus! Teilt aus, denn sie sind hungrig!«, rief ich. Dann brach ich mit eigener Hand das Brot. Erst in zwei Hälften, dann in Viertel, dann riss ich es in kleine Stücke, die sich auf dem goldenen Teller häuften. Gemeinsam erklomm die ganze Gemeinde die Stufen, und zarte, rosige Hände griffen nach den Krumen, die ich mit eiligen Händen verteilte, Häppchen um Häppchen, dass kein Krümel verloren ging, so teilte ich das Brot unter einem Dutzend auf, dann, als immer mehr sich vorwärts drängten, unter Hundert, wobei die neu Herbeieilenden den anderen, die schon gespeist hatten, kaum Platz zum Gehen ließen. Der Strom hörte nicht auf. Doch die Gesänge verstummten nicht, die Stimmen, die am Altar sich dämpften und dann schwiegen, wenn das Brot verspeist wurde, erhoben sich anschließend erneut mit lautem Jubel.
    Das Brot ging nicht

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