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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ächzendes Atmen, aber Lestat rührte sich nicht. Ganz langsam und zärtlich streichelte ich sein Haar und zuckte selbst unmerklich zusammen, als eine meiner Tränen direkt auf sein Gesicht fiel, rot und wässrig lief sie über seinen Wangenknochen und verschwand.
    Ich rückte näher, sah ihn an, die Hand noch immer auf seinem Haar, und dann legte ich mein Gesicht auf seinen Arm. Wieder das aufgestörte Seufzen der anderen. Ich bemühte mich, ganz rein und frei von Stolz zu sein und nur die tiefste Liebe zu verströmen. All die Dinge, die ihn belasteten, waren für mich unvorstellbar, ich konnte sie nur ahnen. Und darin eingeschlossen war die Tragödie, die uns alle betrifft - die, die töten, um zu leben und sich vom Tode nähren und den Fluch mit sich tragen, dass sie sich dessen voll bewusst sind. Kummer. Kummer, viel größer als Schuld, und viel besser zu begründen, Kummer, zu groß für diese weite Welt.
    Ich schob meine Finger sachte unter seinen Nacken. Ich legte meine Lippen an seine weiße Haut und atmete den alten, unverkennbaren Duft ein, süß, undefinierbar, ganz persönlich, all seine körperlichen Gaben waren darin fest eingeschlossen. Ich drückte meine scharfen Zähne in die Haut, um sein Blut zu schmecken.
    Dann gab es die Kapelle nicht mehr, keinen aufgebrachten Seufzer, keinen ehrfürchtigen Schrei, ich hörte nichts und wusste doch alles. Wirklich war nur sein Blut - dick wie Honig, kraftvoll und stark wie Sirup, den die Engel trinken.
    Es brannte heiß in mir, und ich stöhnte auf, denn es war so ganz anders als menschliches Blut. Und mit jedem Schlag seines machtvollen Herzens quoll mir ein weiterer Schwall entgegen, bis ein rötlicher Nebel meine Augen blendete und aus diesem Schimmer eine wirbelnde Staubwolke erschien. Tosendes Gelärme erhob sich aus dem Nichts, vermischt mit scharfem Sand, der mir in den Augen brannte. Ein Ort in der Wüste, ja, voller Schweiß und Dreck und altertümlicher Dinge. Eine schreiende Menge verursachte den Lärm, der über die nahen Mauern hallte. Unzählige Stimmen, Hohnrufe und Schreckensschreie und Gossentratsch. Ich wurde gegen schwitzende Leiber gedrückt und kämpfte um mein Gleichgewicht, während die pralle Sonne mir die Haut verbrannte. Uralte Sprache ertönte um mich herum, doch ich verstand jedes Wort und jeden Jammerschrei, während ich mich an die Quelle dieses Aufruhrs heranzuschieben suchte. Es war, als würden sie mich zerquetschen, diese zerlumpten, verschleierten Menschen, die mir die Ellenbogen in die Seite drückten und mir auf die Füße traten. Ich riss die Arme auseinander, teilte die Menge und sah mit eigenen Augen das grausige Meisterwerk. Vor mir stand Er in Seinem zerrissenen, blutigen Gewand, genau die Gestalt, deren Gesicht in dem Schweißtuch fest eingesiegelt war. Die Arme mit schweren Ketten gebunden, den riesigen Kreuzesbalken auf der Schulter. Er beugte sich darunter, und über das blutende, zerkratzte Gesicht hingen Strähnen Seiner Haare. Das Blut von den Dornen floss Ihm in die offenen, unerschütterlichen Augen. Er sah mich an, starr und leicht verwundert. Er schaute mit weit offenen Augen, als stünde Er nicht in der drängenden Menge und keiner schlüge die Peitsche über Seinem Kopf. Er neigte den Kopf und schaute unter den verfilzten Haaren hervor, aus roten blutunterlaufenen Lidern.
    »HERR!«, schrie ich.
    Ich muss die Hände nach ihm ausgestreckt haben, denn ich sah sie, meine weißen kleinen Hände, die nach seinem Antlitz greifen wollten. Abermals rief ich: »HERR!«
    Ungerührt, unbewegt streiften seine Augen über meine Hände, ehe sie meinen Blick trafen.
    Plötzlich traf mich ein ungeheurer Schlag und schleuderte mich vorwärts. Sein Antlitz war alles, was ich sah, vor meinen Augen das Maß aller Dinge - seine beschmutzte, aufgerissene Haut, die feuchten wirren Wimpern, die großen Scheiben der dunklen Pupillen. Und immer näher kam es, das Blut floss über Seine Brauen und tropfte auf die hagere Brust. Er öffnete den Mund. Ein Klang ertönte. Zuerst ein Seufzen, dann ein Atmen, das lauter und lauter wurde, während Sein Antlitz vor meinen Augen wuchs und wuchs, die Konturen verlor und nur noch aus verschwimmenden Farben bestand, und dann wurde der Klang zum lauten, schrecklichen Gebrüll, ohrenbetäubend. Ich schrie vor Schreck und wurde zurückgeschleudert, und während sich dies Antlitz in das vertraute Bild verwandelte - Er mit der Dornenkrone - so wuchs doch dieses andere Gesicht ins Unendliche und

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