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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ihr entgegen, und sie zischte: »Er lässt sich von keinem anfassen, Armand.« Ihre Stimme hallte in der Wölbung der Kapelle. »Du wirst es schon merken, wenn du den Versuch wagst.«
    Ich blickte zu ihr auf. In ihr übliches Khakigewand gekleidet, das gelbe Haar zum Zopf geflochten, lehnte sie, die Arme um ihre Knie geschlungen, an der Wand. Plötzlich stand sie zornig auf und kam zu mir. Ihre Lederstiefel erzeugten ein scharfes, respektloses Klappern auf den Fliesen.
    »Wie kommst du darauf, dass die Geister, die wir sehen, Götter sind?«, verlangte sie zu wissen, »Und dass uns diese luftigen Wesen nicht nur Streiche spielen? Und wieso denkst du, dass wir mehr als Tiere sind, vom höchsten bis zum niedrigsten Wesen dieser Erde?« Sie verschränkte die Arme. »Er hat irgendetwas, irgendein Etwas, in Versuchung geführt. Diese Wesenheit konnte ihm nicht widerstehen. Und was war die Folge? Sag’s mir.«
    »Ich weiß nicht. Ich wünschte, du würdest mich in Ruhe lassen.«
    »Tatsächlich? Dann sage ich dir, was die Folge war. Eine junge Frau namens Dora, die eine Sekte führt, wie sie es nennen, ist vom Kurs abgekommen! Das war alles - ihre Gebete, die von Nächstenliebe sprachen, zerstoben in nichts vor dem blutigen Antlitz eines Gottes.« Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich hasste ihren klaren Blick. Aber ich konnte ihr nichts erwidern, und ich konnte sie nicht zum Schweigen bringen. Ich stand auf. Sie fuhr fort: »Nichts mehr von Nächstenliebe! Die Massen sind wieder zurück in die Kirchen geströmt, zu einem archaischen, lächerlichen, nutzlosen Ritus, den du scheinbar völlig vergessen hast.«
    »Ich weiß es nur zu gut«, sagte ich leise. »Du machst, dass es mir elend geht. Was habe ich dir getan? Ich habe nur neben ihm gekniet, sonst nichts.«
    Hinter mir sprach jemand zu ihr, vielleicht Pandora, ich war mir nicht sicher. Blitzartig wurde ich mir all derer bewusst, die sich an meinem Elend weideten, aber es war mir gleichgültig.
    »Was erwartest du, Armand?«, fragte sie hinterhältig, erbarmungslos. »Glaubst du, dass du sehen wirst, was er sah? Dass das Blut Christi immer noch in ihm lebt, damit du es auf der Zunge schmecken kannst? Soll ich den Katechismus zitieren?«
    »Nicht nötig, Gabrielle«, sagte ich demütig. Die Tränen machten mich blind.
    »Brot und Wein sind nur Leib und Blut Christi. Solange sie in ihrer speziellen Form bestehen. Ändert sich die Form, ist es nicht mehr Leib und Blut. Denkst du denn, dass das Blut Christi in ihm seine magische Kraft behalten hat, trotz dieser gefräßigen Maschine, die sein Herz ist, und die Menschenblut vertilgt, als wäre es nur Luft zum Atmen?« Ich gab keine Antwort. Tief im Innern dachte ich: Es war nicht Brot und Wein, es war Sein Eigenes Heiliges Blut. Er gab es diesem Wesen, das hier liegt.
    Dass sie mich zu diesem Bekenntnis gedrängt hatte, machte mich wütend und bekümmert, aber ich schluckte die Gefühle hinunter. Ich dachte an meine beiden Kinder, deren Anwesenheit ich noch im Raum spürte. Warum brachte Marius sie nicht fort von hier? Ach, es war ganz klar. Er wollte sehen, was ich tun würde.
    »Jetzt behaupte nicht, dass es eine Frage des Glaubens ist«, sagte Gabrielle und lächelte verächtlich. »Du kommst wie der ungläubige Thomas, um deine Zähne in die Wunde zu legen.«
    »Ach, bitte, hör doch auf«, flehte ich. »Lass es mich versuchen, soll er mir ruhig wehtun, und dann sei zufrieden und geh.«
    Ich hatte es genauso gemeint, wie ich es sagte, demütig und traurig, aber es traf sie hart. Zum ersten Mal sah ich sie zutiefst bekümmert, und nun waren auch ihre Augen rot und feucht und sie presste die Lippen zusammen. »Armes, verlorenes Kind, du tust mir Leid. Armand, ich war so froh, dass du es überlebt hast!«
    »Dann kann ich dir all die Grausamkeiten, die du mir gesagt hast, vergeben.«
    Sie hob nachdenklich die Augenbrauen, nickte zustimmend und zog sich an ihren alten Platz zurück.
    Ich wartete. Sie saß still und gefasst, und kein Laut kam von den anderen in der Kapelle. Nur den beständigen Herzschlag Sybelles hörte ich und Benjis ängstliche Atemzüge, weit weg von mir. Ich schaute auf Lestat nieder, der unverändert lag, nicht die kleinste Regung kam von ihm, kein Atmen aus seiner Lunge, seinen Poren. Ich kniete mich abermals neben ihn. Ich streckte die Hand aus, und ohne zu zucken oder zu zögern strich ich ihm das Haar aus der Stirn. Ich spürte den Schock, der alle im Raum durchfuhr. Ich hörte ihr Seufzen,

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