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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Zweifel an mir selbst. Der lange Gang der Geschichte öffnete sich vor mir und zeigte mir mein Selbst; mit einer Kerze in der Hand suchte ich nach den Ikonen, die ich gemalt hatte. Und der Jammer, die Banalität des Ganzen und die Hoffnungslosigkeit zerschmetterten meine Seele.
    Ich merkte, dass ich Benji und Sybelle in Unruhe versetzt hatte. Sie schauten mich ängstlich an. Sie hatten mich noch nie in einem solchen Zustand gesehen. Ich legte die Arme um sie und zog sie dicht an mich. Ehe wir hergekommen waren, hatte ich getrunken, um für diese Nacht besonders stark zu sein, deshalb war meine Haut angenehm warm. Ich küsste Sybelle auf ihre rosige Wange und drückte Benji einen Kuss aufs Haar.
    »Armand, du irritierst mich«, sagte er. »Du hast nie gesagt, dass du an das Schweißtuch glaubst.«
    »Und du, kleiner Mann«, sagte ich, gedämpft, weil ich hier kein Aufsehen erregen wollte, »bist du damals nicht in die Kathedrale gegangen, um das Tuch zu sehen?«
    »Ja, und ich sage dir das Gleiche, was die edle Dame dort sagt.« Ein charakteristisches Schulterzucken. »Er war nie mein Gott.«
    »Nun sieh nur, wie sie da herumschleichen«, schob Louis ein. Er war ausgezehrt und zitterte ein wenig, denn er hatte, um bei Lestat zu wachen, seinen Hunger verdrängt. »Was meinst du, Pandora, sollen wir sie rausschmeißen?« Aber mit seiner Stimme hätte er nicht einmal die ängstlichste Seele erschreckt.
    »Sollen sie sehen, was sie unbedingt sehen wollen«, murmelte sie kaum hörbar. »Vielleicht können sie ihre Befriedigung darüber nicht mehr lange genießen. Sie machen es uns ganz schön schwer, sie sind eine Schande für uns und für nichts und niemanden nütze.«
    Ich fand, das war eine hübsche Drohung. Ich hoffte, sie würde sie alle hinauswerfen, aber andererseits wusste ich, dass viele der ganz Alten, die, die Jahrtausende überstanden hatten, über mich das Gleiche dachten. Und nun war ich impertinent genug, meine sterblichen Kinder mit herzubringen, damit sie sahen, wie mein Freund hier geschlagen am Boden lag.
    »Die beiden sind bei uns sicher« sagte Pandora, die offensichtlich meine Gedanken gelesen hatte. »Du weißt, dass die anderen alle froh sind, dich zu sehen, die Jungen wie die Alten. Ein paar wollen sich lieber nicht zeigen, aber sie wissen von dir. Sie wollten nicht, dass du uns verloren gingest.«
    »Nein, das wollte keiner«, sagte Louis mit Wärme »und als wäre es ein Traum, bist du wieder da. Wir haben alle etwas flüstern hören, wilde Gerüchte, dass man dich in New York gesehen hatte, so hübsch und lebhaft wie je. Aber ich konnte es nicht glauben, ich musste es erst mit eigenen Augen sehen.«
    Ich nickte dankbar. Aber meine Gedanken waren bei dem Schweißtuch. Ich hob den Blick zu der Christusstatue, und dann schaute ich Lestat an.
    In dem Moment kam Marius. Er bebte. »Nicht verbrannt, ganz und heil«, murmelte er, »mein Sohn.«
    Er trug diesen verflixten alten, grauen Umhang, a ber ich achtete nicht darauf. Meine beiden Kinder mussten zur Seite treten, denn er schloss mich sofort in die Arme. Sie blieben aber neben uns stehen, ich glaube, sie waren beruhigt, als sie sahen, dass auch ich ihn umarmte und ihn auf Mund und Wangen küsste, wie wir uns früher immer geküsst hatten. Er war so großartig, so wunderbar, so voller sanfter Liebe! »Wenn du es versuchen willst, werde ich diese Sterblichen in meine Obhut nehmen«, sagte er. Er hatte nicht in meinen Gedanken aber in meinem Herzen gelesen. Er wusste, ich konnte nicht anders. Er fragte: »Wie kann ich dich davon abhalten?«
    Ich schüttelte nur den Kopf.
    Voreiligkeit und Vorahnungen würden mir auch nicht helfen. Ich übergab ihm meine beiden. Dann ging ich zu Lestat und trat an seine rechte Seite. Ich kniete nieder, verwundert, wie kalt der Marmor war; ich vergaß immer, wie feucht und klamm es in New Orleans ist und wie sich die Kälte hereinschleicht.
    Ich kniete, die Hände am Boden abgestützt, und sah ihn an. Er war friedlich, still, beide blauen Augen - beide, denn auf geheimnisvolle Weise war ihm sein ausgerissenes Auge zurückgegeben worden -, die Augen waren so klar, als sei ihm dieses Unglück nie widerfahren. Er sah sozusagen durch mich hindurch in eine weite Ferne, aus einem Geist heraus, der tot wie ein Kristall war. Sein Haar war wirr und staubig. Nicht einmal seine Mutter, dieses kalte, verhasste Wesen, hatte ihn gekämmt, dachte ich, und das machte mich wütend, aber wie ein eisiger Blitz flog mir eine Regung von

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