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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wirkten, und als er sie nun teilte, schnellte das Rot wie eine eingerollte Zunge daraus hervor. Er hob meinen Kopf an, und ich fing diese Flut mit meinem Mund auf.
    Die Erde gab unter mir nach. Mein Körper trieb wie auf Wogen dahin, meine Augen öffneten sich und waren doch blind, als er mir die Lippen mit seinem Mund verschloss. »Herr, das ist mein Tod!«, flüsterte ich. Ich warf mich unter ihm hin und her, rang um einen festen Halt in dieser traumgleichen, berauschenden Leere. Mein aufgepeitschter Leib wogte vor Wonne, meine Glieder spannten sich und schienen wie losgelöst dahinzutreiben, mein ganzer Körper war wie ein Strom, der aus ihm, meinem Herrn, entsprang und über seine Lippen in meine Lippen floss, mein Körper war sein Atem, sein Seufzen.
    Und dann kam der Stachel, kam die Klinge, winzig, doch unbeschreiblich scharf, stach sie in meine Seele. Ich wand und krümmte mich, als hätte man mich durchbohrt. Oh, das konnte die Götter der Liebe lehren, was Liebe war! Das war meine Erlösung, wenn ich nur überleben konnte. Blind, in zitternder Ekstase, war ich ihm vermählt. Ich spürte seine Hand auf meinem Mund, und erst da, als er meine Schreie dämpfte, nahm ich sie selbst wahr.
    Ich schlang meine Hände um seinen Nacken und presste seinen Mund noch fester gegen meine Kehle, »Tu es, tu es, tu es, tu es!«, stöhnte ich. Als ich erwachte, war es heller Tag.
    Mein Herr war längst gegangen, wie es seine unabänderliche Gewohnheit war. Ich war allein. Die anderen Jungen waren noch nicht gekommen.
    Ich stieg aus dem Bett und ging hinüber zum Fenster - eines dieser typisch venezianischen Fenster, hoch und schmal, damit es die Sommerhitze ausschloss und den kühlen Winden, die häufig von der Adria her wehten, keinen Einlass bot. Ich löste den Riegel an der dicken Glasscheibe und schaute von meinem sicheren Standort hinaus auf die gegenüberliegenden Mauern des Kanals, wie ich es schon oft getan hatte.
    Eine ganz gewöhnliche Dienstmagd auf dem Balkon gegenüber schüttelte einen Staublappen aus. Ihre Gesichtshaut schien bläulich verfärbt und irgendwie in Bewegung, als ob kleine Lebewesen darauf säßen, so etwas wie krabbelnde Ameisen. Sie wusste offenbar nichts davon! Ich stützte meine Hände auf das Fenstersims und schaute noch genauer hin. Es war wohl nur ihr eigenes pulsierendes Blut, ihr geschäftiger, lebendiger Organismus, durch den der Anschein erweckt wurde, dass ihr Gesicht in Bewegung war. Doch ihre Hände, die erschienen abscheulich - knotig und geschwollen, und tief in die Linien der Haut hatte sich der Staub von ihrem Besen eingegraben. Ich schüttelte den Kopf. Das konnte ich unmöglich erkennen! Sie war viel zu weit weg von mir.
    In einem weit entfernten Raum unterhielten sich die anderen Jungen. Zeit, mit der Arbeit zu beginnen. Zeit, aufzustehen, selbst in einem Palazzo, der dem Fürsten der Nacht gehörte, der tagsüber niemals kontrollierte oder herumschnüffelte. Das konnte ich unmöglich hören! Sie waren zu weit entfernt!
    Und hier, dieser Samt, dieser Vorhang aus dem Lieblingsstoff unseres Meisters, er fühlte sich unter meinen Fingern wie Pelzwerk an, nicht wie Samt, und ich konnte noch die kleinste Faser erkennen! Ich ließ ihn fallen und beeilte mich, einen Spiegel zu finden. In diesem Haus gab es Dutzende von Spiegeln, große, verzierte Spiegel, alle mit fantasievollen Rahmen, viele davon mit kleinen Putten überhäuft. Ich landete vor dem großen Spiegel im Vorraum, dem Alkoven, hinter dessen verzogenen, aber hübsch bemalten Türen ich meine Kleider aufbewahrte.
    Das Licht vom Fenster reichte bis hierher. Ich sah mich im Spiegel. Aber bei mir gab es nicht diese wimmelnde, eklige Oberfläche, wie ich sie bei diesem Weib wahrgenommen hatte. Mein Gesicht war babyglatt und sehr weiß.
    »Ich will es!«, flüsterte ich. Ich wusste Bescheid.
    »Nein«, sagte er zu mir.
    Das war, als er in jener Nacht kam. Ich schimpfte und raste und schrie ihn an.
    Er gab keine langen Erklärungen ab, sagte nichts von Zauberkunst oder Wissenschaft, was für ihn sehr leicht gewesen wäre. Er sagte mir einfach, dass ich noch ein Knabe wäre und dass ich so viele Dinge noch nicht ausgekostet hätte, auf die ich dann für ewig würde verzichten müssen.
    Ich weinte. Ich wollte nicht arbeiten, nicht malen, nicht lernen oder sonst irgendetwas tun.
    »Ja«, sagte er nachsichtig, »für eine Weile hat das für dich seinen Reiz verloren. Aber du würdest überrascht sein.«
    »Worüber?«
    »Darüber,

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