Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
die teuersten goldgelackten Schuhe, die ich überhaupt hatte finden können - ein Jahr war also vergangen, als ich in jener Nacht heimkam und mein Buch mit einer ausholenden Geste des Überdrusses in eine Ecke des Schlafzimmers warf, die Hände in die Hüften stemmte und ihn herausfordernd anschaute, wie er da in seinem dick gepolsterten, hochlehnigen Sessel saß, in das Kohlebecken starrte und die Flammen beobachtete, während er seine Hände darüber wärmte.
»Nun, also«, sagte ich großspurig, mit hoch erhobenem Kopf, ein wahrer Mann von Welt, ein kultivierter Venezianer, ein Fürst des Marktplatzes, dem stets ein ganzer Hofstaat von Händlern aufwartete, ein Student, der zu viel gelesen hatte.
»Nun, also«, sagte ich. »Hier gibt es ein großes Geheimnis, und das wisst Ihr. Es ist an der Zeit, dass Ihr es mir erklärt.«
»Was?«, fragte er wohlwollend.
»Weshalb … weshalb zeigt Ihr nie Gefühle?! Weshalb geht Ihr mit mir um, als sei ich eine Marionette? Weshalb …«
Zum allerersten Mal sah ich Röte in sein Gesicht steigen. Seine Augen leuchteten auf, er kniff sie zusammen, dann weiteten sie sich unter einem Film rötlicher Tränen.
»Herr, Ihr macht mir Angst«, flüsterte ich.
»Welche Gefühle soll ich dir denn zeigen, Amadeo?«, fragte er. »Ihr seid wie ein Engel, wie eine Statue«, sagte ich, doch inzwischen war ich ziemlich ernüchtert und beklommen. »Herr, Ihr spielt mit mir, und nur ich, das Spielzeug, fühle etwas.« Ich wagte mich näher. Ich berührte sein Hemd, versuchte es aufzuschnüren. »Lasst mich -« Er nahm meine Hand, nahm meine Finger und legte sie an seine Lippen, saugte sie in seinen Mund hinein und liebkoste sie mit der Zunge. Er hob die Augen zu mir auf.
Genug, sagten mir seine Augen, ich fühle mehr als genug. »Ich würde Euch alles geben«, sagte ich beschwörend. Ich legte meine Hand zwischen seine Schenkel. Oh, er war herrlich hart. Das war nichts Neues, aber er musste zulassen, dass es zu mehr rührte, er musste mir vertrauen.
»Amadeo«, sagte er.
Mit unglaublicher Kraft zog er mich mit sich zum Bett. Man hätte kaum sagen können, dass er sich überhaupt aus dem Sessel erhoben hatte. Es war, als wären wir im einen Augenblick hier und im nächsten lagen wir auf den vertrauten Kissen. Ich blinzelte. Die Vorhänge schlossen sich um uns durch seine bloße Berührung, so schien es mir eine Täuschung, durch die Brise vom Fenster hervorgerufen. Ja, so war es, hör doch die Stimmen, die vom Kanal aufsteigen. Merkwürdig, wie die Stimmen hier in Venedig, der Stadt der Paläste, an den Wänden widerhallen.
»Amadeo«, sagte er abermals. Seine Lippen lagen an meiner Kehle, wie tausend Male zuvor, nur dieses Mal spürte ich einen Stich, scharf, schnell und schon vorbei. Ein Gespinst, fest in mein Herz geheftet, straffte sich jäh. Ich bestand nur noch aus dem Organ zwischen meinen Beinen, sonst nichts. Sein Mund drängte gegen meine Haut, und dieses Gespinst in meinem Herzen ruckte wieder und wieder. Ich träumte. Ich glaube, ich sah einen anderen Ort. Ich glaube, mir enthüllten sich Dinge, die mir sonst nur im Schlaf erschienen, die ich nie festhalten konnte, wenn ich erwachte. Ich glaube, ich betrat den Pfad zu jenen wilden Fantasien, die der Schlaf, und nur der Schlaf allein mir bewusst machte.
Das ist es, was ich von dir will.
»Und Ihr sollt es haben«, sagte ich, Worte, die in die fast vergessene Gegenwart drängten, als ich gegen ihn sank, ihn erzittern fühlte, sein Entzücken fühlte, sein Schaudern fühlte, und fühlte, wie er dieses Gespinst aus meinem Inneren riss und mein Herz rasen ließ, so dass ich beinahe aufschrie, und ich fühlte sein Entzücken, fühlte, wie sich sein Rücken versteifte, wie seine Finger bebend über meine Haut tanzten, als sein Körper sich in unserer Umarmung wand. Trink von mir, trink, trink.
Er riss sich los und drehte sich zur Seite.
Ich lag mit geschlossenen Augen da und lächelte. Ich berührte meine Lippen. An meiner Unterlippe hing noch ein winzig kleiner Tropfen dieses Göttertrankes, meine Zunge fing ihn auf, und ich träumte in mich hinein.
Mein Herr atmete schwer, er war sehr ernst. Er zitterte immer noch, und als seine Hand nach mir griff, war sie unsicher.
»Ah«, seufzte ich. Immer noch lächelnd, küsste ich seine Schulter. »Ich habe dir wehgetan!«, sagte er.
»Nein, nein, nicht im Mindesten, mein süßer Herr«, gab ich zurück, »aber ich habe Euch wehgetan! Ich besitze Euch, endlich!«
»Amadeo, du bist
Weitere Kostenlose Bücher