Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
ein Teufelchen.«
»Wollt Ihr das nicht, Herr? Hat es Euch nicht gefallen? Ihr habt mein Blut getrunken, und nun seid Ihr mein Sklave!« Er lachte. »Ach, so drehst du das also!«
»Hmmm. Liebt mich nur! Ist es dann nicht gleich?«, fragte ich. »Sprich nie mit den anderen darüber«, sagte er. Seine Worte zeigten weder Furcht noch Schwäche oder Scham. Ich drehte mich um und stützte mich auf den Ellenbogen, um ihn zu betrachten - sein unbewegtes, von mir abgewandtes Profil. »Was würden sie tun?«
»Nichts«, antwortete er. »Wichtig ist, was sie fühlen und denken würden. Und dafür habe ich weder Zeit noch Lust.« Er sah mich an. »Amadeo, erweise dich als gütig und klug.«
Lange Zeit sagte ich nichts. Ich schaute ihn nur an. Erst nach und nach wurde mir klar, dass ich Angst hatte. Für einen kurzen Moment schien die Furcht alles auszulöschen - die Wärme des Augenblicks, das sanfte Glühen des strahlenden Lichtes, das sich in den Vorhängen fing, die glatten Flächen seines elfenbeinfarbenen Gesichts, sein hinreißendes Lächeln. Dann siegte eine viel wichtigere Sorge über meine Furcht und ich flüsterte:
»Ihr seid gar nicht mein Sklave, nicht wahr?«
»Doch«, sagte er, abermals am Rande eines Lachens. »Das bin ich, wenn du es denn wissen musst.«
»Was ist da geschehen, was habt Ihr gemacht, was war das, was Ihr -?« Er legte einen Finger auf meine Lippen. »Glaubst du, dass ich wie die anderen Männer bin?«, fragte er.
»Nein«, sagte ich, doch mit dem Wort wuchs auch die Furcht und erstickte meine gekränkten Gefühle. Ehe ich mich zurückhalten konnte, hatte ich ihn umschlungen und versuchte, mein Gesicht in seine Kehle zu bohren. Sein Körper war dafür viel zu hart, jedoch umfing er mein Gesicht mit den Händen, küsste mich auf die Stirn und presste seine Daumen in meine Wangen, während er mein Haar zurückstrich.
»Eines Tages werde ich dich von hier fortschicken«, sagte er. »Ich will, dass du fortgehst. Du wirst Reichtümer mitnehmen, und du wirst das Wissen, das ich dir vermitteln konnte, mit dir nehmen. Du wirst deine Manieren und all die Fertigkeiten, die du hier erworben hast, mit auf den Weg nehmen, dass du malen kannst, dass du jedes verlangte Musikstück spielen kannst - das kannst du ja jetzt schon -, dass du so vorzüglich tanzen kannst. Mit diesen Fähigkeiten ausgestattet w irst du hinausziehen, um die kostbaren Dinge zu suchen, nach denen du Verlangen hast -«
»Ich habe nur ein Verlangen. Nach Euch.«
»- und wenn du später an diese Zeit zurückdenkst, wenn du dich nachts im Halbschlaf, wenn dir fast schon die Augen zufallen, an mich erinnerst, werden dir diese Stunden mit mir verderbt und äußerst seltsam vorkommen. Sie werden dir wie Zauberei erscheinen, wie die grotesken Spaße von Verrückten, und dieser wohlige Raum hier verwandelt sich vielleicht in die vergessene Kammer, die deine dunklen Geheimnisse birgt. Das wäre sehr schmerzlich für dich.«
»Ich werde gar nicht erst gehen!«
»Und dann musst du dich daran erinnern, dass das, was wir geteilt haben, Liebe war«, sagte er, »dass es für dich tatsächlich die Schule der Liebe war, in der deine Wunden heilen konnten, in der du aufs Neue zu sprechen lerntest, ja, sogar zu singen, und in der dein Ich aus dem gebrochenen Knaben, der du warst, neu erstand, sich aus einer Hülle löste, ein Engel, der daraus hervorstieg mit weit gespreizten, erstarkten Schwingen.«
»Und was ist, wenn ich auf keinen Fall aus freiem Willen gehen würde? Werdet Ihr mich aus einem Fenster stoßen, so dass es nur noch fliegen oder fallen heißt? Wollt Ihr alle Läden hinter mir verschließen? Das solltet Ihr besser, denn ich werde nicht aufhören, an die Tür zu klopfen, bis ich tot umfalle. Die schönsten Schwingen könnten mich nicht von Euch forttragen.«
Er betrachtete mich für lange, lange Zeit. Noch nie hatte ich mich so ungestört in seine Augen vertiefen können, genauso wenig wie er mir je, und sei es nur ganz kurz, erlaubt hatte, mit neugierigen, tastenden Fingern seinen Mund zu befühlen.
Endlich richtete er sich auf und drückte mich sacht nach unten. Und ich sah nun zu, wie sich seine Lippen, sonst so blassrosa wie die innersten Kelchblätter der weißen Rosen, sich langsam rot färbten. Ein glitzernder Streifen Rot erschien zwischen seinen Lippen, rann in die winzigen Furchen der Haut und färbte sie so vollkommen wie von rotem Wein, nur war diese Flüssigkeit so glänzend, dass seine Lippen wie lackiert
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