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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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eben so sein. Sie huschten davon ins Nichts, fast wie die Blätter draußen in der Gasse, wenn der Wind sie aufwirbelte, diese Blätter, die an den fleckigen Mauern des kleinen Gartens herabsanken, der oben auf dem Dach grünte.
    »Ich will nicht«, sagte ich abermals.
    Es gab nur einen lebendigen Gott. Meinen Herrn.
    »Eines Tages, wenn du die Kraft hast, es zu nutzen, dann wird dir alles wieder ganz deutlich einfallen«, sagte er. Er klappte das Buch zu. »Bis dahin lass mich dich trösten.«
    Ach, ja, dafür war ich nur zu bereit.

3
     
    A ch, wie lang die Tage ohne ihn sein konnten! Bei Anbruch der Nacht, wenn die Kerzen angezündet wurden, saß ich mit gespannt geballten Fäusten.
    An manchen Abenden tauchte er gar nicht erst auf. Die anderen sagten, dass er äußerst wichtige Dinge zu erledigen habe. Das Hauswesen musste aber genauso funktionieren, als wäre er anwesend. Ich schlief in seinem verlassenen Bett, und niemand stellte das in Frage. Ich durchsuchte das Haus nach Spuren seines Privatlebens, denn ich wurde von Fragen geplagt. Ich fürchtete, er würde nicht wiederkommen. Aber er kam immer wieder.
    Wenn er die Stufen hinaufstieg, flog ich in seine Arme. Er fing mich auf, hielt mich fest, küsste mich, und erst dann ließ er mich sanft gegen seine harte Brust sinken. Mein Gewicht war eine Kleinigkeit für ihn, obwohl ich fand, dass ich von Tag zu Tag größer und schwerer wurde. Mein Aussehen hat sich seit damals nicht mehr verändert - immer werde ich der siebzehnjährige Jüngling sein, wie du ihn hier vor dir siehst -, aber wie konnte ein so schlanker Mann wie er mich mit derartiger Leichtigkeit hochheben? Ich war nie ein Gerippe. Ich bin recht kräftig.
    Wenn ich ihn dann mit anderen teilen musste, mochte ich es am liebsten, wenn er uns laut vorlas. Rings um seinen Platz stellte er einen Kranz von Kandelabern auf und sprach mit gedämpfter Stimme und einfühlsamer Betonung. Er las aus der Göttlichen Komödie von Dante, aus dem Decamerone von Boccaccio oder auch etwas Französisches wie die Gedichte von Francois Villon. Er sagte uns, dass wir uns mit den neuen Sprachen genauso befassen müssten wie mit Griechisch und Latein, und warnte uns vor dem Irrtum, dass die Literatur sich weiterhin auf die klassischen Sprachen beschränken würde. Mucksmäuschenstill, auf Kissen oder auf dem bloßen Boden kauernd, umringten wir ihn. Einige Jungen blieben auch dicht bei ihm stehen. Manchmal spielte Riccardo für uns auf der Laute und sang dazu die Lieder, die seine Lehrer ihn gelehrt hatten, oder auch das eine oder andere derbe Lied, das er in den Gassen aufgeschnappt hatte. Wenn er mit schmerzbebender Stimme die Liebe besang, rührte uns das zu Tränen. Unser Gebieter bedachte ihn mit liebevollen Blicken. Ich fühlte jedoch keine Eifersucht. Nur ich teilte das Bett mit unserem Meister.
    Hin und wieder ließ er Riccardo sogar draußen vor der Tür des Schlafraumes für uns spielen. Der folgsame Riccardo fragte nie, ob er hereinkommen dürfe.
    Wenn sich die Bettvorhänge um uns schlossen, begann mein Herz zu rasen. Mein Herr öffnete die Bänder an meinem Hemd, und manchmal, in ausgelassener Laune, zerriss er es sogar, als sei es nur ein altes, abgelegtes Stück. Ich sank wie betäubt unter ihm in die seidenbezogenen Daunenkissen, spreizte die Beine und drückte zärtlich meine Knie gegen seinen Körper, und ich erbebte, wenn seine Fingerknöchel über meine Lippen rieben.
    Eines Nachts war ich halb eingedöst. Das Zimmer war in rosig goldenen Schimmer getaucht. Es war warm. Ich fühlte seine Lippen auf den meinen, und seine kühle Zunge schob sich schlangengleich in meinen Mund und füllte ihn mit einer Flüssigkeit, einem dickflüssigen, glühenden Nektar, einem Trank, so göttlich, dass ich spürte, wie er durch meinen Körper strömte bis hinein in die äußersten Fingerspitzen. Er breitete sich aus bis in meine intimsten Körperteile. Ich stand in Flammen! Ich brannte!
    »Herr«, hauchte ich, »was ist das für ein neuer Trick, der süßer ist als jeder Kuss?«
    Er ließ den Kopf auf das Kissen sinken und wandte sich ab. »Macht es noch einmal, Herr«, bat ich. Er tat es, aber nur, wenn es ihm beliebte, und immer nur tropfenweise und unter Tränen -rote Tropfen, die ich manchmal von seinen Augen lecken durfte. Ich glaube, ein Jahr verging so, bis ich eines Abends nach Hause kam, rosig angehaucht von der Winterluft und für ihn in mein feinstes Dunkelblau gekleidet. Dazu trug ich himmelblaue Strümpfe und

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