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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Kiew, diese heruntergekommene Stadt, ertragen?
    Sein Pferd bäumte sich auf, und mein Vater beeilte sich, die Zügel zu fassen und dem Tier zu drohen, wie er es sonst mit mir machte. Die in dicke Wollschichten gewickelte Ikone, die für den Fürsten Feodor bestimmt war, sollte ich tragen. Ich legte die Hand auf den Knauf meines Schwertes.
    »Oh, Ihr werdet ihn doch nicht auf diese gottlose Mission mitnehmen!«, rief der Älteste. »Fürst Michael, Euer Exzellenz, Ihr, unser mächtiger Herrscher, sagt doch diesem Gottlosen, dass er unseren Andrei nicht mitnehmen kann!«
    Durch die Schneeflocken hindurch sah ich das Gesicht des Fürsten, eckig und kraftvoll, mit grauem Bart und Augenbrauen, und großen, harten blauen Augen. »Lass ihn ziehen, ehrwürdiger Vater!«, rief er dem Priester zu. »Der Junge ist mit Iwan auf die Jagd gegangen, seit er vier war. Niemand sonst bringt solch reiche Beute für meine Tafel und für deine, Vater! Lass ihn ziehen.«
    Das Pferd tänzelte rückwärts. Mein Vater zerrte an den Zügeln. Fürst Michael pustete sich ein paar Schneeflocken von den Lippen. Unsere Pferde wurden vorgeführt, der mächtige Hengst meines Vaters mit dem graziös gebogenen Hals, und der kleine Wallach, der mir gehört hatte, bevor ich in das Höhlenkloster gegangen war.
    »Ich werde zurückkommen, ehrwürdiger Vater«, versprach ich dem Klostervorstand. »Gebt mir Euren Segen. Was kann ich schon gegen meinen sanften, gutmütigen und ach so frommen Vater ausrichten, wenn Fürst Michael selbst befiehlt?«
    »Ach, schließ deinen frechen kleinen Mund«, sagte mein Vater. »Glaubst du, ich wollte mir diesen Mist den ganzen Weg über bis zu Fürst Feodors Burg anhören?«
    »Auf deinem ganzen Weg zur Hölle wirst du es hören«, erklärte der Klostervorstand. »Du rührst meinen besten Novizen in den Tod.«
    »Novize? Novize in einem Dreckloch! Ihr nehmt die Hände, die diese Wunder malen können -«
    »Gott malt sie«, zischte ich ihm giftig ins Ohr, »und das weißt du, Vater. Hörst du nun bitte auf, deine Gottlosigkeit und deine Angriffswut derart zur Schau zu stellen!«
    Ich war schon auf dem Rücken meines Pferdes, die wollverpackte Ikone vor meine Brust geschnallt.
    »Ich glaube nicht, dass mein Bruder Feodor tot ist«, sagte nun der Fürst, während er versuchte, sein Pferd in den Griff zu kriegen. Es schritt neben dem meines Vaters. »Möglicherweise haben diese Reisenden andere Ruinen gesehen, irgendein altes …«
    »In den Steppen kann heute niemand mehr überleben«, zeterte der Priester. »Fürst, nehmt bitte nicht unseren Andrei mit! Bitte nicht.« Während er das sagte, lief der Vorsteher neben meinem Pferd her. »Andrei, nichts wirst du mehr vorfinden, nur das hohe, wehende Gras und die Bäume. Dann leg die Ikonen zwischen ihre Äste. Tu es Gott zu Willen, damit, wenn die Tataren es finden, sie von seiner göttlichen Macht erfahren. Tu es für die Heiden. Und komm wieder heim.« Der Schnee fiel nun so dicht und heftig, dass ich sein Gesicht nicht mehr sehen konnte. Ich hob den Blick zu den nackten Kuppeln unserer Kathedrale, diesem Überbleibsel byzantinischer Herrlichkeit, das uns von den mongolischen Eindringlingen gelassen worden war, die nun durch unseren katholischen Fürsten habgierig ihren Tribut aus unseren Taschen zogen. Wie trostlos und karg war es, mein Heimatland! Ich schloss die Augen in Sehnsucht nach dem aus dem Lehm gestochenen Quadrat meiner Höhle, nach dem Geruch von Erde, der mich umgeben würde, nach edlen Traumbildern von Gott und Seiner Güte, die mich umfangen würde, wenn ich so gut wie begraben war.
    Komm zurück zu mir, Amadeo. Komm zurück! Dein Herz darf nicht aufhören zu schlagen!
    Ich wirbelte herum. »Wer ruft mich?«
    Der dichte Schneevorhang teilte sich und zeigte mir in der Ferne die gläserne Stadt, schwarz glühend wie von Höllenfeuer angeheizt. Rauch stieg auf und vereinte sich mit den düsteren Wolken über uns. Ich ritt auf die gläserne Stadt zu.
    Komm zurück zu mir, Amadeo! Dein Herz darf nicht stehen bleiben! Die Ikone fiel aus meinem Arm, weil ich krampfhaft mein Pferd zu zügeln suchte. Die wollenen Hüllen hatten sich gelöst. Weiter, immer weiter ritten wir. Die Ikone fiel neben uns zu Boden, rollte hüpfend, sich überschlagend, mit ihren Ecken aufstoßend den Hügel hinab, das Wollbündel blieb zurück, und ich sah das leuchtende Antlitz Christi. Starke Arme packten mich, zogen mich hoch, wie aus einem Wirbelsturm heraus. »Lass mich los!«,

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