Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
schleuderte mich auf einen Stuhl an dem schweren, ausladenden Tisch. Er hob den eisernen Leuchter mit der flackernden, aufzischenden Kerze, um die übrigen Lichter ringsum zu entzünden. Die Flamme warf feurige Schatten auf seinen Bart. Seinen Augenbrauen entsprossen lange, graue, sich aufwärts biegende Haare, die ihm ein satanisches Aussehen verliehen. »Du benimmst dich, als wärest du der Dorftrottel, Vater«, zischelte ich. »Es ist ein Wunder, dass ich nicht selbst ein sabbernder, blödsinniger Bettler geworden bin.«
»Halt den Mund, Andrei! Niemand hat dir hier Manieren beigebracht, dass ist ganz klar zu sehen. Die muss ich dir wohl erst einprügeln.« Er knallte mir seine Faust gegen den Kopf. Ich spürte, wie mein Ohr taub wurde. »Ich dachte, ich hätte dir genug Prügel verpasst, ehe ich dich herbrachte, aber nein!«, sagte er, dabei schlug er mich abermals. »Entweihung!«, rief der Priester, der sich über mich beugte. »Der Knabe ist Gott geweiht.«
»Einem Haufen Verrückter ist er geweiht!«, knurrte mein Vater. Er zog ein Päckchen aus seinem Mantel. »Die Eier, Bruder!«, sagte er dabei verächtlich. Er schob das weiche Leder zur Seite und nahm ein Ei zur Hand. »Nun male, Andrei. Male, damit diese Verrückten daran erinnert werden, dass Gott selbst dir diese Gabe verliehen hat.«
»Und derselbe Gott ist es, der die Bilder malt!«, rief der Priester, der älteste der drei, dessen graues Haar so ölverklebt war, dass es fast schwarz aussah. Er drängte sich zwischen meinen Vater und mich. Mein Vater legte die Eier auf den Tisch, bis auf eins. Er beugte sich über einen kleinen i rdenen Tiegel und schlug vorsichtig die Eierschale auf, so dass sich das Gelbe in der einen Hälfte sammelte. Den Rest ließ er in das lederne Tuch laufen. »Da ist es, da Andrei, reines Eigelb!« Er seufzte und warf die zerbrochene Schale auf den Boden. Dann griff er zu einem kleinen Krug und goss Wasser auf das Eigelb.
»Nun misch das Ganze, misch deine Farben und arbeite. Erinnere dich an diese -«
»Er arbeitet, wenn ihn Gottes Ruf ereilt«, unterbrach ihn der Alteste. »Und wenn ihn der Ruf ereilt, sich in der Erde einzusargen, das abgeschiedene Leben eines Eremiten zu führen, dann wird er auch das tun.«
»Die Hölle wird er!«, sagte mein Vater. »Fürst Michael hat höchstpersönlich um eine Ikone der Jungfrau gebeten. Male gefälligst, Andrei! Mach gleich drei, damit ich dem Fürsten das verlangte Bild geben kann, und die anderen beiden bringe ich dann zu der fernen Feste seines Cousins, Fürst Feodor, so, wie er es verlangt hat.«
»Die Feste ist zerstört, Vater«, sagte ich abfällig. »Feodor ist mit seinem ganzen Gefolge von den wilden Stämmen hingeschlachtet worden. Du wirst draußen in den unzivilisierten Gegenden nichts mehr finden außer einem Steinhaufen. Vater, du weißt das genauso gut wie ich. Wir sind ziemlich weit geritten, um es mit eigenen Augen zu sehen.«
»Wenn der Fürst es wünscht, werden wir uns auf den Weg machen«, beharrte mein Vater. »Wir werden die Ikonen in den Zweigen der Bäume am Sterbeort seines Bruders verbergen.«
»Eitelkeit und Wahn«, sagte der Älteste. Andere Geistliche hatten den Raum betreten, Geschrei brach aus. »Sagt, was Ihr meint, und lasst das Gesäusel!«, rief mein Vater. »Lasst meinen Jungen malen! Andrei, misch die Farben. Sprich meinetwegen deine Gebete, aber fang endlich an zu arbeiten.«
»Vater, du demütigst mich. Ich verachte dich. Ich schäme mich, dass ich dein Sohn bin. Ich bin nicht dein Sohn. Halt deinen dreckigen Mund, oder ich male überhaupt nicht.«
»Ah, das ist mein süßer Junge, dem der Honig von den Lippen tropft! Und die Bienen, die ihn dorthin gebracht haben, haben auch gleich ihren Stachel dagelassen.«
Wieder schlug er mich. Dieses Mal wurde mir schwindelig. An meinem Ohr fühlte ich einen hämmernden Schmerz, aber meine Sturheit verbot es, dass ich mir den Kopf hielt.
»Ganz schön stolz auf dich selbst bist du, Iwan, der Blödmann!«, sagte ich. »Wie soll ich denn malen, wenn ich nichts mehr sehen kann, nicht mal mehr aufrecht in dem Stuhl sitzen kann?«
Die Priester erhoben ihre Stimmen, sie stritten untereinander. Ich versuchte mich nur auf die kleine Reihe irdener Tiegel vor mir zu konzentrieren, die für die Wasser-Eigelb-Mischung bereitstanden. Am besten war es, zu arbeiten und mich so vor allem anderen abzuschließen. Ich hörte meinen Vater befriedigt auflachen. »Ja, zeig’s ihnen, zeig ihnen, wen sie da
Weitere Kostenlose Bücher