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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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lebendig in einem Haufen Dreck begraben wollen!«
    »Um der Liebe Gottes willen«, sagte der Älteste.
    »Um der Liebe einiger Geistesschwacher willen«, widersprach mein Vater. »Es reicht euch nicht, einen großen Maler zu haben! Ihr müsst gleich einen Heiligen daraus machen!«
    »Du weißt nicht, was in deinem Sohn steckt, du kennst das wahre Wesen deines Sohnes nicht. Gott hat dich geleitet, als du ihn herbrachtest.«
    »Nicht Gott, sondern Geld«, sagte mein Vater. Die Mönche keuchten entsetzt.
    »Belüg sie nicht«, murmelte ich vor mich hin. »Du weißt verdammt gut, dass es Stolz war.«
    »Ja, Stolz«, gab mein Vater zu, »weil mein Sohn das Antlitz des Herrn oder Seiner Gesegneten Mutter malen konnte wie einer der großen Meister! Und ihr, denen ich dieses Genie anvertraut habe, ihr seid zu dumm, um es zu merken.« Ich begann, die Farbgrundstoffe zu zerstoßen, die ich zum Malen brauchte - das weiche, bräunlich rote Puder, das dann so lange mit Eigelb und Wasser vermischt wurde, bis die Pigmente sich gelöst hatten und die Konsistenz der Farbe ganz glatt und dünnflüssig und gleichmäßig war. Das Gleiche machte ich mit dem Gelb, dann kam Rot an die Reihe.
    Währenddessen stritten sie meinetwegen. Mein Vater drohte dem Ältesten sogar mit der Faust, doch ich schaute gar nicht erst auf. Er würde es nicht wagen. Stattdessen trat er mir in seiner Verzweiflung gegen das Bein, dass meine Muskeln sich zusammenkrampften, aber ich sagte nichts. Ich widmete mich weiter meinen Farben. Einer der Priester hatte sich links von mir aufgestellt und schob nun eine glatte, gefirnisste Holztafel vor mich hin, grundiert und bereit für das heilige Abbild.
    Endlich war ich so weit. Ich neigte den Kopf. Ich machte das Kreuzzeichen, so wie es bei uns üblich war, indem ich die rechte Schulter zuerst berührte, nicht die linke.
    »Lieber Gott, schenk mir Kraft, schenk mir die Vision, führe meine Hände, wie nur deine Liebe es tun kann.«
    Ich hatte den Pinsel in der Hand, ohne bewusst danach gegriffen zu haben, und der Pinsel setzte sich in Bewegung, zog in Windeseile den Umriss des heiligen, jungfräulichen Gesichtes, dann die abfallenden Linien der Schultern, schließlich die Konturen ihrer gefalteten Hände. Als die Mönche nun abermals aufkeuchten, war es ein Tribut an meine Malkunst. Mein Vater lachte, verzückt vor Befriedigung. »Ach, mein Andrei, mein scharfzüngiges, sarkastisches, böses, undankbares kleines Genie Gottes!«
    »Danke Vater«, flüsterte ich mit beißender Stimme, aus meiner tranceartigen Konzentration heraus, während ich ehrfürchtig beobachtete, wie der Pinsel sein Werk tat. Da erschien das Haar, dicht an den Schädel gepresst, in der Mitte gescheitelt. Und um den Umriss des Heiligenscheins vollkommen rund zu machen, brauchte ich kein Instrument.
    Die Priester hielten die ausgewaschenen Pinsel für mich bereit. Einer hatte ein sauberes Stück Tuch in der Hand. Ich ergriff einen Pinsel für das Rot, das ich dann mit dem Weiß vermischte, bis es die passende Hautfarbe hatte.
    »Ist das nicht ein Wunder?«
    »Darum geht es ja, Bruder Iwan! Es ist wirklich ein Wunder, und er wird das tun, was Gott will.«
    »Er wird sich nicht hier einmauern lassen, verdammt! Nicht, solange ich lebe. Er wird mit mir in die Wildnis gehen.«
    Ich platzte mit einem Lachen heraus. »Vater«, sagte ich höhnisch, »mein Platz ist hier!«
    »Er ist der beste Spross der Familie, und er wird mit mir in die Steppe kommen«, wandte sich mein Vater an die anderen, die alle durcheinander redeten. Proteste und Ablehnung schwirrten durch die Luft.
    »Warum malst du der Heiligen Jungfrau diese Träne ins Auge, Bruder Andrei?«
    »Gott hat die Tränen gemalt«, behauptete einer.
    »Sie ist die Schmerzensreiche. Ah, seht nur die herrlichen Falten ihres Umhangs!«
    »Ach, seht, das Christuskind!«, sagte mein Vater, und selbst sein Gesicht war ehrerbietig. »Ach, das arme kleine Jesuskind, so bald gekreuzigt zu werden und zu sterben!« Endlich war seine Summe einmal gedämpft und fast schon zärtlich. »Ach, Andrei, welch eine Gabe hast du doch! Sieh nur die Augen des Kindes, sieh sein kleines Händchen, den pummeligen Daumen, die winzige Hand!«
    »Selbst dich berührt das Licht Christi«, sagte der Älteste. »Selbst einen so unwissenden, gewalttätigen Mann wie dich, Bruder Iwan.« Die Priester drängten sich in einem dichten Kreis um mich. Mein Vater streckte mir auf der Handfläche ein kleines Häufchen Juwelen entgegen. »Für

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