Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
protestierte ich. Auf der gefrorenen Erde lag die Ikone, und die fragenden Augen Christi schauten starr geradeaus.
Entschlossene Finger legten sich fest um mein Gesicht. Ich blinzelte und öffnete die Augen. Der Raum ringsum strahlte Licht und Wärme aus. Direkt über mir schwebten die vertrauten Züge meines Herrn, seine blauen Augen blutunterlaufen. »Trink, Amadeo«, drängte er, »trink von mir.«
Mein Kopf fiel wie magnetisch angezogen gegen seine Kehle. Der blutige Quell sprudelte, sein Blut quoll aus der Ader und tropfte in zähem Fluss auf den Ausschnitt des goldenen Kaftans. Ich presste meinen Mund darüber, leckte es auf. Und als das Blut mein Inneres in Flammen setzte, schrie ich laut auf.
»Schlürf es aus mir heraus, Amadeo. Saug, so hart du kannst!« Mein Mund füllte sich mit Blut. Meine Lippen schlossen sich über Marius’ weißem, seidigem Fleisch, damit nicht ein Tropfen verloren ginge. Ich schluckte gierig. In einem trüben Blitz sah ich meinen Vater, wie er durch die Steppe ritt, ein mächtiger, in Leder gekleideter Mann, das Schwert an seiner Seite fest gegürtet, die Beine gekrümmt, die Füße mit den abgetragenen braunen Stiefeln im Steigbügel verankert. Er drückte das Pferd nach rechts, dabei hob und senkte er sich im Sattel, geschmeidig und im perfekten Rhythmus mit dem Tritt seines weißen Rosses.
»Ganz recht, verlass mich, du Feigling, du unverschämter, elender Bursche! Verlass mich!« Er sah starr geradeaus. »Ich habe darum gebetet, Andrei, ich habe gebetet, dass sie dich nicht in ihre dreckigen Katakomben stecken, in ihre düsteren erdigen Zellen. Gut, meine Gebete sind erhört! Geh mit Gott, Andrei. Geh mit Gott. Geh mit Gott!«
Das Gesicht meines Herrn war verzückt und wunderschön, eine weiß leuchtende Flamme vor dem flackernden, goldenen Licht unzähliger Kerzen. Er ragte über mir auf. Ich lag am Boden. Das Blut rauschte durch meinem Körper wie Musik. Gegen ein Schwindelgefühl ankämpfend, rappelte ich mich auf die Füße.
»Herr!«
Ganz am Ende des Saales stand er, die nackten Füße fest auf dem rosenfarbenen Boden, seine Arme weit ausgestreckt. »Komm zu mir, Amadeo, auf deinen eigenen Füßen, komm her und hol dir das restliche Blut.«
Ich mühte mich, ihm zu gehorchen. Der Raum ringsum sprühte von Farben. Mein Blick fiel auf den Zug der Heiligen drei Könige, und ich sagte: »Oh, das bewegt sich, es ist so ganz lebendig!«
»Komm her zu mir, Amadeo!«
»Herr, ich bin zu schwach, ich werde ohnmächtig, ich sterbe in diesem herrlichen Licht.«
Obwohl es mir kaum möglich schien, setzte ich doch einen Fuß vor den anderen. Einen Schritt nach dem anderen machte ich, rückte ihm immer näher. Ich strauchelte.
»Dann eben auf allen Vieren. Komm. Komm her zu mir!« Ich klammerte mich an sein Gewand. Ich musste ihn dort oben auf seiner Höhe erreichen, wenn ich das Blut wollte. Ich streckte den Arm aus und hängte mich in seine Armbeuge. Als ich mich hochzog, strich das goldene Gewebe über meine Haut. Ich streckte die Beine, bis ich aufrecht stand. Abermals umarmte ich ihn, abermals fand ich den Quell. Ich trank und trank und trank.
Wie flüssiges Gold strömte das Blut: in meine Eingeweide. Es breitete sich in meinen Armen und Beinen aus. Ich war ein Titan! Ich zerdrückte Marius unter mir. »Gib mir mehr«, flüsterte ich, »gib es mir.« Das Blut sickerte über meine Lippen und floss durch meine Kehle. Es war, als umfingen seine kalten Marmorfinger mein Herz. Ich spürte, wie es kämpfte, wie es schlug, die Klappen öffneten und schlossen sich, sein Blut strömte gluckernd hindurch, »Schsch« und »klack« machte es, als die Herzkammern es willkommen hießen, damit arbeiteten, und mein Herz wuchs, wurde größer, wurde kräftiger, meine Adern wurden zu unbezwingbaren, metallenen Röhren für diesen erstaunlichen Stoff.
Ich lag ausgestreckt am Boden, Marius stand über mir, die Hände nach mir ausgestreckt. »Steh auf, Amadeo. Komm, hoch mit dir, in meine Arme! Hol’s dir.«
Ich weinte. Ich schluchzte. Meine Tränen waren rot, und meine Hand war rot befleckt davon. »Hilf mir, Herr.«
»Ich helfe dir doch! Komm, du musst es schaffen.«
Plötzlich, von dieser neuen Kraft durchdrungen, stand ich auf den Füßen, als ob alle menschlichen Grenzen gesprengt wären, so als wären es Seile oder Ketten, die von mir abfielen. Ich sprang ihn an, riss seinen Kaftan auf, um besser an die geöffnete Ader zu gelangen. »Mach dir eine neue Wunde, Amadeo.«
Ich biss
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