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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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die Heiligenscheine«, sagte er dabei. »Arbeite schneller, Fürst Michael hat befohlen, dass wir uns auf den Weg machen.«
    »Das ist Irrsinn, sage ich!« Alle redeten wieder auf einmal. Mein Vater wandte sich zu ihnen um und hob die Faust. Ich sah nur auf, um nach einer neuen, sauberen Holztafel zu greifen. Der Schweiß stand mir auf der Stirn. Ich arbeitete unverdrossen.
    Drei Ikonen hatte ich gemalt.
    Glückseligkeit durchströmte mich, reinste Glückseligkeit. Es war herrlich, sich in diesem Gefühl zu sonnen, sich dessen bewusst zu sein, und ich wusste, obwohl ich es nicht sagte, dass mein Vater mir das ermöglicht hatte, mein Vater, dieser muntere, rotwangige, überwältigende Mann mit den breiten Schultern und dem glänzenden Gesicht, dieser Mann, den ich eigentlich hassen sollte.
    Die schmerzensreiche Mutter Gottes mit ihrem Kind, mit dem Tüchlein für ihre Tränen, und Christus selbst. Erschöpft, trüben Blickes, lehnte ich mich zurück. Es war unerträglich kalt hier. Ach, wenn sie nur ein kleines Feuer gehabt hätten! Und meine Hand, meine linke Hand war starr vor Kälte. Nur die rechte war warm, weil ich mit solcher Geschwindigkeit gearbeitet hatte. Am liebsten hätte ich an den kalten Fingern gesaugt, aber das ging wohl nicht, nicht gerade jetzt, da sie sich alle mit bewundernden Ausrufen über die Ikonen beugten. »Meisterhaft! Das Werk Gottes.«
    Ein grässliches Gefühl überkam mich, als hätte ich mich zeitlich weit von diesem Augenblick entfernt, weit von diesem Kloster der Höhlen, dem ich mein Leben geweiht hatte, weit von den Priestern, die meine Brüder waren, weit von meinem fluchenden, dummen Vater, der trotz seiner Unwissenheit so stolz war.
    Aus seinen Augen flössen Tränen. »Mein Sohn«, sagte er. Dabei drückte er voller Stolz meine Schulter. Auf seine Weise war er schön, ein wunderbar starker Mann, der sich vor nichts fürchtete, einem Fürsten gleich, inmitten seiner Pferde und Hunde und seiner Angehörigen, zu denen ich, sein Sohn, auch gehört hatte. »Lass mich in Ruhe, du dickschädeliger Esel«, sagte ich. Ich lächelte ihn dabei an, um ihn noch wütender zu machen. Doch er lachte nur. Er war zu glücklich, zu stolz, um sich provozieren zu lassen. »Seht euch an, was mein Sohn fertig gebracht hat!« Seine Stimme war verräterisch belegt. Er würde gleich weinen. Und er war nicht einmal betrunken!
    »Nicht von Menschenhand«, sagte der Priester.
    »Nein, natürlich nicht!« Die Stimme meines Vaters dröhnte verächtlich. »Nur von Andreis Hand, von der Hand meines Sohnes, sonst nichts!«
    Eine seidenweiche Stimme flüsterte mir ins Ohr: »Würdest du wohl eigenhändig die Edelsteine in den Heiligenschein einfügen, Bruder Andrei? Oder soll ich das übernehmen?«
    Seht, es war geschafft, der Leim aufgebracht, die Steine aufgesetzt, fünf für die Ikone. Wieder hielt ich den Pinsel in den Fingern, um das braune Haar unseres Herrn Jesus zu malen, das in der Mitte gescheitelt und hinter seine Ohren gestrichen war, so dass nur einige Strähnen neben seinem Hals sichtbar waren. Wie von Geisterhand lag mir der Stift in der Hand, mit dem ich die schwarzen Lettern in dem Buch, das Jesus in seiner linken Hand hielt, dicker und dunkler nachzog. Unser Herrgott blickte ernst und streng von dem Bild herab, sein Mund rot und fest unter den Bögen des braunen Bartes.
    »Nun komm, der Fürst ist hier, der Fürst ist angekommen!« Draußen vor dem Kloster fiel der Schnee in dicken Flocken. Die Priester halfen mir in die lederne Weste, in den Mantel aus Lammfell, sie schnürten mir sogar den Gürtel. Es tat gut, dieses Leder wieder zu riechen, die frische, kalte Luft einzuatmen. Mein Vater hatte sogar mein Schwert dabei, ein altes, schweres Ding, das er von seinen früheren Kämpfen gegen die teutonischen Ritter in weiter östlich gelegenen Ländern mitgebracht hatte. Die Juwelen waren längst aus dem Griff gebrochen worden, doch es war ein feines Schlachtschwert. Aus dem schneeverhangenen Dunst erschien eine Gestalt zu Pferde. Es war Fürst Michael selbst, in Pelzhut und pelzverbrämtem Umhang und Handschuhen, der mächtige Herr, der Kiew für die römischkatholischen Eroberer regierte, deren Glauben wir nicht akzeptierten, die uns jedoch gestatteten, unseren eigenen Glauben zu bewahren. Er war in ausländisches Tuch, in Gold und Samtstoff gekleidet, eine wundersame Gestalt, gerade richtig für die lettischen Adelspaläste, von denen wir so fantastische Geschichten gehört hatten. Wie konnte er

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