Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
Formulierungen, wie gewiss er war, dass du nie um das Vampirblut gebeten hast.«
Lange Zeit konnte ich nichts sagen, nicht antworten. Ich weinte nicht, weil ich nie zu weinen pflege. Ich schaute fort, ließ den Blick durch das Café schweifen, bis ich nichts mehr wahrnahm außer den verwischten Konturen der Touristen, die sich auf dem Weg zum Jackson Square auf der Straße draußen drängten. Ich beherrschte den Rückzug in die innerliche Einsamkeit sehr gut und ließ ihn auch jetzt zu.
Dann gestattete ich meinen Gedanken, bei Aaron zu verweilen, meinem Freund, meinem Kollegen, meinem Gefährten. Ich klammerte mich an Erinnerunge n, die weit mehr umfassten als nur einzelne Begebenheiten. Ich ließ sein Bild vor mir auferstehen, sah sein freundliches Gesicht, seine klugen grauen Augen. Ich sah ihn die hell erleuchtete Ocean Avenue in Miami Beach entlangschlendern, wo er in seinem Westenanzug aus feiner gestreifter Baumwolle so wunderbar fehl am Platz wirkte, prachtvoll wie ein grandioses Schmuckstück.
Ich gab meinem Schmerz nach. Ermordet worden war er, um der Geheimnisse der Mayfair-Hexen willen. Ermordet von abtrünnigen Kreaturen der Talamasca. Natürlich hatte er seinen Report über mich nicht an den Orden weitergegeben! Es waren schließlich stürmische Zeiten gewesen, und am Ende war er vom Orden verraten worden, und deshalb würde meine Geschichte in jenen sagenhaften Archiven für immer unvollständig bleiben. Endlich fragte ich Merrick: »Gab es noch mehr?«
»Nein. Immer nur Variationen desselben Themas. Nichts sonst.« Sie trank einen weiteren Schluck. »Weißt du, er war zuletzt sehr, sehr glücklich.«
»Wieso?«
»Durch Beatrice Mayfair. Er hatte nie damit gerechnet, einmal zu heiraten, schon gar nicht glücklich, aber es kam doch noch so. Sie war eine schöne, kontaktfreudige Frau, so lebhaft, als hätten sich drei Frauen in ihr vereinigt. Aaron sagte, dass er noch nie im Leben so viel Spaß gehabt hätte wie mit Beatrice. Natürlich war sie keine Hexe!«
»Wie sehr mich das freut«, sagte ich mit bebender Stimme. »Also gehörte Aaron dann zu ihnen, könnte man sagen.«
»Ja«, bestätigte Merrick, »in jeder Hinsicht.« Sie hielt das leere Glas in der Hand und zog die Schultern hoch. Ich war mir nicht sicher, warum sie sich nicht gleich wieder nachschenkte. Vielleicht wollte sie mich damit beeindrucken, dass sie nicht die berüchtigte Trinkerin war, als die ich sie kannte. »Aber ich weiß nichts über die weißen Mayfairs«, sagte sie schließlich. »Aaron hat mich immer von ihnen fern gehalten. Mein Arbeitgebiet war in den letzten Jahren der Voodoo-Kult. Ich habe Reisen nach Haiti gemacht. Ich habe Unmengen ge schrieben. Du weißt ja, dass ich zu den wenigen Mitgliedern des Ordens gehöre, die ihre eigenen psychischen Kräfte untersuchen, die mit Genehmigung der Ältesten die verdammenswerte Magie - wie das Ganze nun vom Generaloberst genannt wird benutzen dürfen.«
Ich hatte es nicht gewusst. Es war mir gar nicht in den Sinn gekommen, dass sie sich wieder dem Voodoo-Kult zugewandt hatte, der seinen breiten Schatten schon in ihrer Jugend über sie geworfen hatte. Zu meiner Zeit hatten wir eine Hexe nie ermutigt, Magie zu praktizieren. Nur der Vampir in mir konnte diesen Gedanken dulden.
»Weißt du«, sagte sie, »es ist eigentlich unwichtig, dass du Aaron nicht geschrieben hast.«
»Ach, tatsächlich?«, fragte ich in scharfem Flüsterton. Und doch beeilte ich mich, gleich darauf zu erklären: »Ich brachte es einfach nicht über mich, ihm zu schreiben. Und per Telefon ging es schon gar nicht. Und ihn zu treffen, mich ihm zu zeigen - das stand ganz außer Frage!«
»Und fünf Jahre hat es gedauert, bis du dich schließlich durchgerungen hast, zu mir zu kommen.«
»Oh, Volltreffer!«, gab ich zurück. »Fünf Jahre oder sogar mehr. Und wenn Aaron nicht gestorben wäre, wer weiß, was ich dann getan hätte? Aber der entscheidende Faktor für meine Zurückhaltung war folgender: Aaron war alt, Merrick. Er war alt, er hätte mich vielleicht um das Blut gebeten. Wenn du alt bist und dich fürchtest, wenn du erschöpft und krank bist, wenn in dir die Vermutung wächst, dass dein Leben bedeutungslos wird … nun, dann beginnst du, Vampirblut für die Lösung des Ganzen zu halten. Dann denkst du, dass der Fluch des Vampirlebens doch gar nicht so schrecklich sein kann, zumindest nicht im Tausch für die Unsterblichkeit. Dann denkst du, dass du, wenn man dir nur die Chance gäbe, ein
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