Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
verstehe«, sagte sie.
»Gott sei Dank«, antwortete ich. »Aaron hätte dir schon zu gegebener Zeit von dem Körpertausch berichtet«, fuhr ich eindringlich fort, »das weiß ich genau. Dass ich tot war - diese Geschichte war nie für dich bestimmt.«
Sie nickte und verbiss sich die Entgegnung, die ihr offensichtlich auf der Zunge lag.
»Ich schätze, du wirst Aarons Papiere archivieren müssen«, sagte ich. »Du solltest sie direkt den Ältesten übergeben, niemandem sonst. Vergiss den amtierenden Generaloberst.«
»Hör auf damit, David. Weißt du, jetzt, wo du in dem Körper eines sehr jungen Mannes steckst, fällt es mir viel leichter, mich mit dir zu streiten.«
»Damit hattest du doch nie ein Problem, Merrick«, gab ich zurück. »Meinst du nicht, dass Aaron, wenn er noch lebte, die Unterlagen in die Akten aufgenommen hätte?«
»Vielleicht«, antwortete sie, »vielleicht auch nicht. Vielleicht hätte Aaron viel eher gewünscht, dass du deinem Geschick überlassen bliebest. Vielleicht hätte Aaron eher gewollt, dass man dich einfach in Ruhe ließe.«
Ich verstand nicht genau, was sie meinte. Die Talamasca war so passiv, so verschwiegen, so absolut unwillig, in das Schicksal anderer einzugreifen.
Merrick zuckte mit den Schultern, nahm noch einen Schluck Rum und rollte den Rand des Glases über ihre Unterlippe.
»Vielleicht ist es unwichtig«, sagte sie dann. »Ich weiß nur eines: dass Aaron selbst die Unterlagen nie in seine Akten übernommen hat.« Und sie fuhr fort: »In der Nacht nach seinem Tode fuhr ich zu seinem Haus in der Esplanade Avenue. Du weißt, dass er eine von den weißen Mayfairs geheiratet hat, übrigens keine Hexe, sondern eine resolute, großherzige Frau Beatrice Mayfair heißt sie, sie lebt noch -, und auf ihre Aufforderung hin nahm ich die Papiere an mich, die den Vermerk ›Talamasca‹ trugen. Sie wusste nicht einmal, wovon sie handelten. Sie erzählte mir, dass Aaron ihr meinen Namen genannt hatte. Er hatte gesagt, wenn etwas passiert, sollte sie sich an mich wenden, und diese Pflicht hatte sie erfüllt. Außerdem hätte sie die Dokumente gar nicht lesen können, sie waren in Latein verfasst, du weißt doch, ganz und gar die alte Talamasca. Es gab mehrere Ordner, und auf jedem standen mein Name und meine Nummer, alle in Aarons Handschrift. Ein Ordner war ganz dir gewidmet, auch wenn überall nur die Abkürzung ›D‹ benutzt wurde. Die Akte über dich habe ich ins Englische übertragen, doch niemand hat sie bis her zu Gesicht gekriegt. Niemand«, wiederholte sie mit Betonung. »Aber ich kann sie fast Wort für Wort auswendig.« Irgendwie war es tröstlich, sie über diese Dinge sprechen zu hö ren - diese ganz internen Talamasca-Geheimnisse, die unser Handwerkszeug waren. Ja, so tröstlich, als wäre Aaron mit seiner warmherzigen Persönlichkeit tatsächlich wieder bei uns. Merrick unterbrach sich, um einen weiteren Schluck zu nehmen. »Ich finde, du solltest das alles wissen«, sagte sie dann. »Du und ich, wir haben nie etwas voreinander verborgen gehalten. Zumindest wusste ich nichts. Doch andererseits war mein Arbeitsgebiet das Studium der Magie, und ich war immer viel unterwegs.«
»Wie viel wusste Aaron?«, fragte ich. Ich hatte das Gefühl, dass meine Augen tränten. Wie demütigend! Aber sie sollte weitererzählen. »Seitdem ich zum Vampir wurde, habe ich Aaron nicht mehr gesehen«, gestand ich tonlos ein. »Ich konnte mich einfach nicht überwinden. Kannst du dir vorstellen, warum?« Ich spürte, wie mein seelischer Schmerz und meine Verwirrung immer heftiger wurden. Meine Trauer um Aaron würde nie enden, und ich hatte sie seit Jahren ertragen, ohne auch nur ein Wort gegenüber meinen beiden vampirischen Gefährten Louis und Lestat zu verlieren.
»Nein«, antwortete sie, »das kann ich mir nicht vorstellen. Ich kann dir sagen …« - sie zögerte zuvorkommend, so dass ich sie hätte unterbrechen können, aber ich sah davon ab - » … ich kann dir sagen, dass er enttäuscht war, bis zuletzt. Aber er hat dir verziehen.«
Ich senkte den Kopf und presste die Stirn in meine kalte Hand. »Nach seinen eigenen Worten betete er jeden Tag, dass du ihn aufsuchen würdest«, erklärte sie langsam, »dass er eine Chance auf eine letzte Aussprache mit dir hätte - über das, was ihr gemeinsam durchgemacht hattet, und über die Geschehnisse, die euch schließlich getrennt haben.«
Ich muss wohl zusammengezuckt sein. Ich verdiente dieses Elend jedoch, verdiente es mehr, als sie
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