Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
erstklassiger Zeuge der Weiterentwicklung der Welt werden könntest. Du bemäntelst dein selbstsüchtiges Verlangen mit großartigen Ideen.«
»Und du glaubst, dass ich solche Gedanken niemals hegen werde?« Sie hob die Augenbrauen, ihre grünen Augen waren weit und lichtdurchflutet.
»Du bist jung und schön«, sagte ich, »dir ist Mut in die Wiege gelegt worden. Dein Körper ist so makellos wie dein Geist. Nie hast du eine Niederlage erlebt, und dein Gesundheitszustand ist hervorragend.«
Ich zitterte am ganzen Körper. Ich konnte nicht noch mehr ertragen. Ich hatte von Trost und Intimität geträumt, und jetzt erlebte ich Intimität, aber zu einem schrecklichen Preis. Wie viel einfacher war es doch, die Stunden in Lestats Gesellschaft zu verbringen, der nicht mehr sprach, der still im Halbschlaf lag und der Musik lauschte, die ihn einmal geweckt hatte und ihn nun stets in den Schlaf wiegte - ein Vampir ohne Gelüste. Wie viel leichter auch, zusammen mit Louis, meinem schwächeren und immer charmanten Gefährten, die Stadt zu durchstreifen, nach Opfern zu suchen und den »kleinen Trunk« zu perfektionieren, so dass wir unsere Beute geblendet, aber unversehrt laufen lassen konnten! Wie viel leichter, in dem Haus im French Quarter, unserer Zuflucht, zu bleiben und dort mit vampirischer Schnelligkeit alle Werke über Geschichte und Kunstgeschichte zu verschlingen, durch die ich mich so mühsam hatte arbeiten müssen, als ich noch sterblich war?
Merrick schaute mich mit offensichtlichem Mitgefühl an, und dann griff sie nach meiner Hand.
Ich wich ihrer Berührung aus, weil mich so sehr danach verlangte.
»Schrick nicht vor mir zurück, mein alter Freund«, sagte sie. Ich konnte vor Verwirrung nichts erwidern. »Was du mir mitteilen willst, ist doch, dass weder du noch Louis de Pointe du Lac mir je das Blut geben werdet, nicht einmal, wenn ich darum bitte - dass das in unserem Geschäft nicht enthalten ist.«
»Geschäft! Es wäre auf jeden Fall kein gutes Geschäft«, wisperte ich.
Sie hatte ihr Glas wieder gefüllt und trank noch einen Schluck. »Nun, du wirst mir niemals das Leben nehmen«, sagte sie. »Das ist doch ein gutes Geschäft, meine ich. Du wirst mir nie etwas antun, wie es der Fall wäre, wenn eine beliebige sterbliche Frau deinen Weg kreuzte.«
Die Überlegungen im Zusammenhang mit denen, die meinen Weg kreuzten, fand ich zu beunruhigend, als dass ich eine gute Entgegnung gefunden hätte. Zum ersten Mal, seit wir uns hier getroffen hatten, versuchte ich ernstlich, Merricks Gedanken zu erfassen, doch ich konnte nichts herausfinden. Als Vampir hatte ich in dieser Hinsicht gewaltige Fähigkeiten. Louis brachte auf dem Gebiet zwar fast nichts zustande, aber Lestat wiederum übertraf uns alle.
Ich schaute zu, wie Merrick genießerisch trank, langsamer als zuvor, und wie sich ihre Augen verschleierten. Ihr Gesicht wurde unter dem Einfluss des Rums wunderbar gelöst. Röte stieg ihr in die Wangen und verschönerte ihren vollkommenen Teint. Mir liefen Schauer über den ganzen Körper, über Arme und Schultern und über die Wangen. Ich hatte getrunken, ehe ich hergekommen war, sonst wäre meine Urteilsfähigkeit durch den Duft ihres Blutes noch stärker umnebelt worden, als es schon durch die erregende Intimität unseres Zusammenseins der Fall war. Ich hatte nicht getötet, nein, es war so einfach zu trinken, ohne zu töten. Ich hegte einen gewissen Stolz deswegen. Ich fühlte mich Merrick gegenüber rein; auch wenn es mir zusehends leichter fiel, einen »Übeltäter ausfindig zu machen« - so lauteten damals Lestats Instruktionen -, also ein verderbtes, grausames Individuum zu finden, von dem ich mir einbilden konnte, es sei schlechter als ich selbst.
»Ach, ich habe deinetwegen so viele Tränen geweint«, sagte Merrick, mit heftigerer Bewegung in der Stimme. »Und dann wegen Aaron, wegen eurer ganzen Generation, die zu plötzlich und zu früh einer nach dem anderen von uns gegangen ist.« Sie zog unvermittelt erneut die Schultern hoch und beugte sich vorwärts, als habe sie Schmerzen.
»Die jungen Leute in der Talamasca kennen mich nicht, David«, sagte sie schnell. »Und du kommst nicht nur zu mir, weil Louis de Pointe du Lac dich darum gebeten hat. Du kommst doch nicht nur, um den Geist dieses Vampirkindes zu beschwören! Du verlangst nach mir, David, du verlangst nach meiner Bestätigung wie ich nach deiner.«
»Du hast mit allem Recht, Merrick«, gestand ich. Und dann schossen die Worte aus mir
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