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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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nicht aus seinem verschlossenen Zimmer kamen. Trotzdem wollte ich mich vergewissern.
    Lestat mit seinen ungeheuren Fähigkeiten kann seine Anwesenheit fast vollständig verschleiern, und ich, der ich sein Zögling bin, kann die Schwingungen seines Geistes nicht auffangen. Ich erhob mich, schwerfällig, schläfrig, verwundert darüber, dass ich mich so erschöpft fühlte, und ging den Korridor hinab zu Lestats Zimmer. Ich klopfte höflich, wartete einen Moment lang und öffnete dann die Tür.
    Alles war, wie es sein sollte. Da stand das riesige MahagoniHimmelbett im Plantagen-Stil, mit seinem verstaubten Himmel aus Rosengirlanden und dem Vorhang aus dunkelrotem Samt die Farbe, die Lestat allen anderen vorzieht. Staub lag auf dem Nachtschränkchen und dem Schreibtisch daneben und auch auf den Büchern in den Regalen. Und es gab weit und breit kein elektrisches Gerät, das Musik erzeugen konnte. Ich kehrte um und wollte zurück in den Salon gehen, um das alles in meinem Tagebuch zu notieren, falls ich es fand, aber meine Glieder waren so schwer, und ich war so träge, dass der Gedanke an Schlaf nahe liegender schien. Und dann die Sache mit der Musik und den Vögeln … Irgendetwas gab es da im Zusammenhang mit den Vögeln. Was nur? Etwas, das Jesse Reeves in ihrem Bericht geschrieben hatte - darüber, dass sie vor Jahrzehnten in den Ruinen eben dieses Hauses von einem Spuk heimgesucht worden war. Kleine Vögel.
    »Dann ist es so weit?«, ha uchte ich. Ich fühlte mich schwach, köstlich schwach. Ich fragte mich, ob es Lestat wohl viel ausmachte, wenn ich mich nur für ein kleines Weilchen auf seinem Bett niederlegte. Womöglich kam er doch heute Abend noch her. Man wusste ja nie. Es gehörte sic h eigentlich nicht, sich auf sein Bett zu legen. Und so schläfrig ich auch war, wiegte ich doch die Hand im schnellen Takt mit der Musik. Ich kannte diese Mozart-Sonate, sie war entzückend, die erste, die das kindliche Genie ge schrieben hatte, und wie genial! Kein Wunder, dass die Vögel so fröhlich sangen, es musste für sie ein vertrauter Klang gewesen sein. Doch es war wichtig, dass diese Musik nicht so halsbrecherisch dahinraste, gleichgültig, wie fingerfertig der Spielende, wie geschickt das Kind auch war.
    Auf dem Weg nach draußen bewegte ich mich durch den Raum, als schritte ich durch Wasser. Ich wollte in mein eigenes Zimmer, wo mein eigenes, durchaus bequemes Bett stand, doch dann schien es mir vorrangig, dass ich meinen Sarg aufsuchte, mein Versteck, denn ich würde nicht bis zur Morgendämmerung bei Bewusstsein bleiben können. »Ah, ja, es ist tödlich, wenn ich nicht dorthin gehe«, sagte ich laut, aber ich hörte meine eigenen Worte über dem Donnern der dahinstürzenden Klänge nicht, und dann stellte ich zu meinem Kummer fest, dass ich in den hinteren, auf der Hofseite der Wohnung gelegenen Salon gegangen war und mich dort auf der Couch niedergelassen hatte.
    Louis war bei mir. Genau genommen war mir Louis gerade behilflich, mich auf die Couch zu setzen. Louis fragte, was mit mir los sei.
    Ich sah auf. Er schien mir ein Bild männlicher Vollkommenheit zu sein, mit seinem schneeweißen Seidenhemd und dem elegant geschnittenen schwarzen Samtjackett. Sein lockiges schwarzes Haar war hübsch ordentlich hinter die Ohren zurückgekämmt und fiel in entzückenden Kringeln über seinen Kragen. Ich hätte ihn immerzu ansehen können - genau wie Merrick. Mir fiel auf, wie sehr sich seine grünen Augen von den ihren unterschieden. Seine waren dunkler. Sie hatten nicht diesen deutlich sichtbaren dunkleren Ring um die Iris, Louis’ Pupillen waren nicht so klar abgegrenzt. Trotzdem hatte er schöne Augen. Plötzlich herrschte tiefe Stille in der Wohnung. Einen Augenblick lang konnte ich nichts sagen oder tun.
    Dann schaute ich ihn an, während er sich in einen mit rosenfarbenem Samt bezogenen Sessel neben mich setzte. Seine Augen fingen den Schein der nahen elektrischen Lampe ein. Im Gegensatz zu Merricks Augen, deren Ausdruck immer leicht herausfordernd wirkte, wie gleichgültig Merricks Miene auch war, blickten Louis’ Augen geduldig, ruhevoll, wie die Augen auf einem Gemälde, starr und verlässlich. »Hast du das gehört?«, fragte ich. »Was denn?«, wollte er wissen.
    »Oh, mein Gott, es ist so weit«, sagte ich leise. »Erinnerst du dich? Los, erinnere dich! Ruf dir ins Gedächtnis, was Jesse Reeves dir erzählt hat. Denk nach.«
    Dann stürzte es in einem Schwall aus mir heraus - die Cembaloklänge und die

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