Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
nachgelassen hatte. Ach, wie wahr!
Ich hatte schon lange nicht mehr daran gedacht. Jetzt besaß ich natürlich die Sehkraft eines Vampirs und konnte mich nicht einmal an die unterschiedlichen Schärfen des menschlichen Auges erinnern, die ich in jener kurzen faustischen Jugend noch einmal erfahren hatte.
Aaron hatte dann seine Ansicht darüber dargelegt, dass der vollständige Bericht über das Geschehene nicht in jene Akten der Talamasca aufgenommen werden dürfe, die allen Mitgliedern offen standen.
»Davids Umwandlung ist der klare Beweis dafür«, schrieb er, »dass Körpertausch absolut möglich ist, wenn man mit Personen zu tun hat, die darin bewandert sind, und was mein Entsetzen erregt, ist nicht Davids augenblicklicher Besitz dieses herrlich jungen Körpers, sondern die Art und Weise, wie der Körper dem ursprünglichen Besitzer von einer Person zu zwielichtigen Zwecken gestohlen wurde, die wir hier ›Körperdieb‹ nennen wollen.« Aaron erläuterte weiterhin, dass er trachten werde, diese Seiten direkt in die Hände der Ältesten der Talamasca zu geben.
Doch tragische Umstände hatten dies offensichtlich verhindert. Es folgten auf etwa drei weiteren Seiten einige zusammenfassende Abschnitte, die etwas ordentlicher geschrieben waren als das Vorausgegangene.
»Davids Verschwinden« lautete die Überschrift. Lestat wurde nur mit »DVL« bezeichnet. Aaron drückte sich in diesen Passagen beträchtlich vorsichtiger aus und mit einer gewissen Trauer. Er beschrieb, wie ich auf Barbados plötzlich ohne die geringste Nachricht an irgendjemanden verschwunden war und Gepäck, Schreibmaschine, Bücher und Geschriebenes einfach im Stich gelassen hatte - das alles hatte Aaron dann an sich genommen. Wie schrecklich musste es für ihn gewesen sein, die Überreste meines Lebens einzusammeln und kein Wort der Entschuldigung von mir zu finden.
»Wenn mich die Angelegenheiten der Mayfair-Hexen nicht so sehr beschäftigt hätten«, schrieb er, »wäre D. vielleicht nie verschwunden. Ich hätte mich während dieser Übergangszeit mehr um D. kümmern müssen. Ich hätte ihm meine Zuneigung deutlicher zeigen sollen, um dadurch sein vollkommenes Vertrauen zu gewinnen. Nun kann ich nur vermuten, was aus ihm geworden ist, und ich fürchte, dass ihn ganz gegen seinen Willen ein Verhängnis spiritueller Art ereilt hat.
Zweifellos wird er sich mit mir in Verbindung setzen. Ich kenne ihn zu gut, um etwas Gegenteiliges anzunehmen. Er wird zu mir kommen. Er wird - wie auch immer seine geistige Verfassung ist, und ich kann sie mir kaum vorstellen - zu mir kommen, und sei es nur zu meinem persönlichen Trost.«
Das zu lesen schmerzte mich zutiefst, so dass ich abbrach und die Blätter zur Seite legte. Für eine Weile bewegte mich nur mein Versagen, mein fürchterliches, mein grausames Versagen. Aber es gab noch zwei weitere Blätter, und ich musste sie lesen. Schließlich nahm ich sie auf.
»Ich wünsche, ich könnte die Ältesten direkt um Hilfe angehen. Ich wünsche, nach so vielen Jahren in der Talamasca vollkommenes Vertrauen in den Orden zu haben und vollkommenes Vertrauen darauf, dass die Amtsgewalt der Ältesten uns zum Besten gereicht. Unser Orden besteht jedoch, soweit ich weiß, aus fehlbaren Sterblichen. Und ich kann mich an niemanden wenden, ohne in dessen Hände Wissen zu geben, das ich lieber für mich behalte.
Die Talamasca hat in der letzten Zeit eine Menge interner Schwierigkeiten. Und bis das Problem bezüglich der Identität der Ältesten gelöst, bis die Sicherheit der Kommunikation mit ihnen gewährt ist, muss dieser Be richt in meinen Händen verbleiben. Nichts kann jedoch währenddessen mein Vertrauen in D. ins Wanken bringen oder meinen Glauben an das Gute tief in ihm. Wie immer auch die Talamasca korrumpiert wurde, nie sind D.’s ethische Grundsätze davon beeinflusst worden oder die Grundsätze jener Mitglieder, die wie er sind. Und wenn ich mich ihnen auch noch nicht anvertrauen kann, so tröstet mich doch die Tatsache, dass D. sich vielleicht ihnen zeigt, wenn schon nicht mir. Mein Vertrauen in ihn ist tatsächlich so groß, dass mir mein Verstand manchmal einen Streich spielt und ich mir einbilde, ich sähe ihn, auch wenn ich schnell merke, dass ich mich irre. Ich halte des Abends im Strom der Passanten nach ihm Ausschau. Ich bin nach Miami zurückgekehrt, um nach ihm zu suchen. Ich habe auf telepathischem Weg nach ihm gerufen. Und ich zweifele nicht daran, dass er sich bald schon melden wird,
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