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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Vogelgeräusche - Jahrzehnte vorher war es Jesse widerfahren, in der Nacht, als sie Claudias Tagebuch in einem Versteck in der aufgebrochenen Mauer gefunden hatte. Brennende Öllampen und sich regende Gestalten waren vor ihren Augen erschienen. Und von Entsetzen erfüllt, war sie aus der Wohnung geflohen und nie wieder zurückgekommen, doch eine Puppe, einen Rosenkranz und das Tagebuch hatte sie mitgenommen. Claudias Geist hatte sie bis in ihr abgedunkeltes Hotelzimmer verfolgt. Dort war Jesse krank geworden, man musste ihr Beruhigungsmittel verabreichen und sie ins Krankenhaus bringen. Schließlich hatte man sie nach England heimgeholt, und soweit ich wusste, war sie nie wieder in dieses Haus zurückgekehrt. Jesse Reeves war zu einem Vampir geworden, nicht durch Fehler oder Verfehlungen der Talamasca, sondern weil es ihr bestimmt gewesen war. Und Jesse selbst hatte Louis diese Geschichte erzählt.
    Das alles war für uns beide nicht neu, aber ich konnte mich nicht erinnern, dass Jesse je erwähnt hätte, welches Musikstück sie damals im Dunkel gehört hatte.
    Nun war Louis an der Reihe. Mit leiser Stimme erklärte er, ja, seine geliebte Claudia habe die frühen Sonaten Mozarts geliebt, und zwar, weil er sie komponiert hatte, als er noch ein Kind war. Plötzlich wurde Louis von einem Gefühlssturm übermannt. Er stand auf, wandte sich von mir ab und schaute ange legentlich durch den Spitzenvorhang nach draußen, in das Stückchen Himmel über den Dächern und den großen Bananenstauden, die an der Mauer im Hof wuchsen.
    Ich beobachtete ihn mit taktvollem Schweigen. Ich spürte, wie meine Lebensgeister langsam wieder erwachten. Ich spürte wieder die gewohnte übernatürliche Kraft, auf die ich mich verließ, seit ich in jener Nacht das Blut erhalten hatte.
    »Oh, ich weiß, es muss quälend sein«, sagte ich schließlich. »Der Schluss liegt nahe, dass wir der Sache näher kommen.«
    »Nein«, antwortete er, indem er sich höflich zu mir umdrehte. »Verstehst du nicht, David? Du hast diese Musik gehört. Nicht ich. Jesse hat sie gehört. Ich niemals. Nie. Und ich warte seit Jahren darauf, bitte darum, sie hören zu können, möchte es so sehr, aber nie geschieht es.«
    Wie immer, wenn Gefühle ihn übermannten, trat sein französischer Akzent scharf und klar hervor und verlieh seiner Stimme eine Klangfülle, die ich ungemein liebte. Ich glaube, dass wir, die wir englischsprachig sind, Klugheit beweisen, wenn wir andere Akzente schätzen. Sie lehren uns etwas über unsere eigene Sprache.
    Ich mochte Louis wirklich sehr, liebte seine eleganten Gesten und seine Ganz-oder-gar-nicht-Mentalität, mit der er an alles heranging. Vom ersten Moment unseres Treffens an hatte er sich mir gegenüber wohlmeinend verhalten, hatte sein Haus mit mir geteilt, und seine Loyalität gegenüber Lestat widerstand jedem Zweifel.
    »Wenn es dich irgendwie tröstet«, fügte ich eilig an, »ich habe Merrick Mayfair getroffen. Ich habe ihr deine Bitte vorgetragen, und ich glaube nicht, dass sie uns im Stich lassen wird.« Ich wunderte mich, dass er überrascht war. Er ist der Schwächste von uns, und ich vergesse immer, wie sehr menschlich er ist und dass er nicht einmal Gedanken lesen kann. Außerdem war ich davon ausgegangen, dass er mich während der letzten Zeit von Weitem beobachtet, mich ausgespäht hatte, wie es nur ein Vampir oder ein himmlisches Wesen kann, um zu sehen, wann dieses Treffen stattfinden würde. Er kam wieder herüber und setzte sich.
    »Du musst mir davon erzählen«, sagte er. Eine kurze Röte überflog sein Gesicht. Doch als die übernatürliche Blässe wieder wich, schien er einfach ein junger Mann von vierundzwanzig Jahren zu sein - mit klar geschnittenen, schönen Gesichtszüge n und scharf modellierten Wangenknochen. Er wirkte so vollkommen, als hätte Gott ihn einzig und allein geschaffen, damit Andrea del Sarto ihn malen konnte.
    »David, bitte lass mich alles wissen«, drängte er, als ich schwieg. »Ja, das sollst du auch. Aber gib mir noch einen Moment Zeit. Irgendetwas geht hier vor, und ich weiß nicht, ob es nur ganz allgemein mit Merricks Bosheit zu tun hat.«
    »Bosheit?«, wiederholte er in aller Unschuld. »Ich meine es nicht wirklich ernst. Weißt du, sie ist eine so starke Frau und hat eine so merkwürdige Art an sich! Ich erzähle dir erst einmal alles, in Ordnung?«
    Aber ehe ich begann, musterte ich ihn noch einmal und machte mir noch einmal klar, dass keiner von uns, also von den Vampiren oder

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