Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
um Aaron und vergrub ihr Gesicht an seinem Hals.
In dem Moment war an ihr nichts mehr von der jungen Frau zu finden. Ich fühlte tiefstes Mitleid mit ihr. Ich fühlte, dass die Talamasca ihr alle Träume erfüllen müsste, die sie je hätte.
Inzwischen hatte der Priester darauf gedrängt, dass die Friedhofsbediensteten sofort den Stein an seinen Platz vor der Grabkammer setzten sollten; daraus ergab sich eine kleine Diskussion, doch schließlich geschah es, und der Stein siegelte die kleine Höhlung ab, so dass der Sarg nun ganz offiziell außer Sicht- und Reichweite war.
Ich weiß noch, dass ich mein Taschentuch zog und mir die Augen wischte.
Aaron streichelte Merricks lange braune Haare und sagte ihr auf Französisch, dass die Große Nananne ein herrliches, langes Leben gehabt habe und dass ihr einziger Wunsch auf dem Totenbett nun erfüllt sei - dass Merrick gut behütet wäre.
Merrick hob den Kopf und sagte nur einen Satz. »Cold Sandra hätte kommen müssen.« Ich erinnere mich so gut dran, weil bei diesen Worten mehrere der Zuschauer den Kopf schüttelten und missbilligende Blicke wechselten.
Ich fühlte mich ziemlich hilflos. Ich studierte die Gesichter der Männer und Frauen ringsum. Ich sah einige von afrikanischer Abstammung, so tiefschwarz, wie ich sie in Amerika kaum je ge sehen habe, aber auch einige extrem hellhäutige. Ich sah außerordentliche Schönheiten, aber auch sehr unbedeutende Leute. Kaum einer war jedoch Durchschnitt, so wie wir das Wort verstehen. Es war ganz unmöglich, auch nur von einem die geradlinige Abstammung oder genaue rassische Zugehörigkeit zu schätzen.
Aber keiner der Leute stand Merrick nahe. Im Prinzip war sie allein, zählte man Aaron und mich nicht. Die eleganten Damen der Gesellschaft hatten ihre Pflicht getan, aber sie kannten Merrick eigentlich nicht richtig, das war deutlich zu sehen. Und sie freuten sich für sie, dass sie zwei reiche Onkel hatte, die sie mitnehmen würden.
Die »weißen Mayfairs« nun, die Aaron gestern entdeckt hatte, die waren nicht erschienen. Wie Aaron es sah, war das ein »großes Glück«. Wenn sie gewusst hätten, dass ein Kind der Mayfair-Familie allein und ohne Freunde in der weiten Welt stand, hätten sie darauf bestanden, die Lücke zu füllen.
Tatsächlich waren sie auch nicht bei der Totenwache erschienen, wie mir nun auffiel. Sie waren pflichtschuldigst gekommen, Merrick hatte ihnen irgendetwas erzählt, das ihnen befriedigend erschien, und so waren sie wieder ihrer Wege gegangen. Nun hieß es zurück zu dem alten Haus.
Dort würde schon ein Lastwagen aus Oak Haven warten, um Merricks Besitztümer abzutransportieren. Merrick war fest entschlossen, alles mitzunehmen, was ihr gehörte, wenn sie den Wohnsitz ihrer Tante verließ.
Während der Fahrt dorthin hörte sie schließlich auf zu weinen; stattdessen legte sich ein düsterer Ausdruck über ihre Züge, wie ich ihn später noch oft bei ihr sehen sollte. »Cold Sandra weiß es nicht«, sagte sie unvermittelt, ohne Einleitung.
Der Wagen rauschte langsam durch den sanften Regen. »Sie wäre gekommen, wenn sie davon gewusst hätte.«
»Sie ist deine Mutter?«, fragte Aaron respektvoll. Merrick nickte. »Zumindest hat sie das immer behauptet«, antwortete sie mit einem nachgerade neckenden Lächeln. Sie schüttelte den Kopf und blickte aus dem Wagenfenster. »Ach, machen Sie sich keine Gedanken deswegen, Mr. Lightner«, sagte sie. »Cold Sandra hat mich eigentlich nicht im Stich gelassen. Sie ist gegangen und einfach nicht zurückgekommen.« Das hörte sich in diesem Augenblick ganz vernünftig an, vielleicht auch nur, weil ich es so hören wollte, damit Merrick nicht durch eine übermächtige Wahrheit gekränkt würde. »Wann hast du sie zuletzt gesehen?«, wagte Aaron vorsichtig zu fragen. »Als ich zehn war und wir aus Südamerika zurückkamen. Als Matthew noch lebte. Sie müssen Cold Sandra verstehen. Von zwölf Kindern war sie die Einzige, bei der es nicht funktionierte.«
»Wie, nicht funktionierte?«, fragte Aaron.
»Als Weiße durchzugehen«, sagte ich, ehe ich mich bremsen konnte. Abermals lächelte Merrick. »Ah, ich verstehe«, sagte Aaron.
»Sie war wunderschön«, sagte Merrick, »niemand könnte das Gegenteil behaupten, und sie konnte jeden Mann behexen. Keiner konnte sich dagegen wehren.«
»Behexen?«, fragte Aaron.
»Durch einen Zauberspruch«, erklärte ich kaum hörbar.
Wieder lächelte Merrick mich an. Wieder sagte Aaron: »Ich verstehe.«
»Als mein
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