Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
meinen Fehler wieder gutzumachen, »stammt es von der ältesten in Mittelamerika bekannten Kultur. Und ich habe Herzklopfen, wenn ich es nur ansehe.«
»Vielleicht ist es noch vorolmekisch«, sagte sie und schaute mich abermals an. Ihr offener Blick schwenkte träge über Aaron. Das goldene Licht der Glühbirne ergoss sich über Merrick und das kostbar gewandete Abbild. »Das hat zumindest Matthew gesagt, als wir das Ding aus der Höhle hinter dem Wasserfall geholt ha ben. Und das sagte Onkel Vervain damals, als er mir erklärte, wo man suchen müsste.«
Ich senkte den Blick wieder auf das herrliche Antlitz aus schimmerndem grünem Stein mit seinen leeren Augen und der abgeflachten Nase.
»Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, dass es sehr wahrscheinlich stimmt«, sagte ich. »Die Olmeken sind wie aus dem Nichts aufge taucht, zumindest steht es so in den Lehrbüchern.« Sie nickte.
»Onkel Vervain stammte von einer Indiofrau ab, die uralte Zauberkünste beherrschte. Ein farbiger Mann und eine rote Frau waren die Eltern von Onkel Vervain und der Großen Nananne, und die Enkelin der großen Nananne war Cold Sandras Mutter, also steckt es auch in mir.«
Ich brachte nichts heraus. Ich konnte mein Staunen und mein Zutrauen in sie nicht in Worte fassen.
Merrick legte die Beilklinge zur Seite, oben auf die vielen anderen Päckchen, und griff mit der gleichen Sorgfalt nach einem anderen. Es war ein schmaleres, längliches Bündel, und als sie es auswickelte, stockte mir der Atem, und ich blieb stumm. Es enthielt eine große Figur, reich verziert, offensichtlich eine Gottheit oder ein Herrscher, was genau, konnte ich nicht sagen. Und wie zuvor bei der Axtklinge war allein die Größe schon beeindruckend, von dem hellen Schimmer des Materials ganz zu schweigen.
»Man weiß es nicht«, sagte das Mädchen, indem sie meine unausgesprochenen Gedanken aufgriff. »Allerdings, dieses Zepter, sehen Sie, das ist ein magischer Gegenstand. Wenn die Figur einen Herrscher darstellt, dann ist er außerdem Priester und Gott.« Beschämt betrachtete ich die feine Schnitzarbeit. Die hohe, schlanke Figur trug einen stattlichen Kopfputz, der die wild blickenden, weit geöffneten Augen beschattete und bis auf die Schultern herabfiel. Von einem strahlenförmigen, schulterbreiten Halsschmuck hing eine runde Scheibe auf die Brust der Gestalt herab. Was das Zepter anging, damit schien der Mann in die offene Fläche seiner linken Hand schlagen zu wollen, als mache er sich bereit zu einer gewaltsamen Handlung gegen einen nahen Feind oder ein Opfer. Eine Schauder erregende Bedrohung ging davon aus, und doch war es schön durch seine Authentizität und die detaillierte Ausführung. Es war glatt geschliffen und schien zu schimmern, genau wie das maskenhafte Gesicht. »Soll ich ihn aufstellen oder fortlegen?«, fragte Merrick und schaute mich an. »Das ist kein Spielzeug für mich. Nein, nie im Leben. Ich kann die Magie, die darin steckt, spüren. Ich habe schon Beschwörungen damit gemacht. Ich spiele nicht damit. Ich will ihn lieber wieder zudecken, damit er seine Ruhe hat.« Nachdem sie das Götzenbild wieder verhüllt hatte, griff sie nach einem dritten Päckchen. Ich hatte keine Vorstellung, wie viele Bündel noch in der dicht gepackten Tasche lagen. Ich sah deutlich, dass Aaron die Worte fehlten. Man musste kein Experte für mittelamerikanische Ausgrabungen sein, um den Wert der Artefakte zu erkennen.
Merrick aber wickelte das dritte Wunderding aus und erzählte dabei:
»Wir sind hingefahren, immer der Karte nach, die uns Onkel Vervain gegeben hatte. Und Cold Sandra betete ununterbrochen zu Onkel Vervain, damit er uns den Weg wies. Wir drei waren da, Matthew, Cold Sandra und ich. Cold Sandra sagte dauernd: ›Bist du jetzt nicht glücklich, dass du nie zur Schule musstest? Du beschwerst dich ja ständig. Nun, jetzt bist du dabei, ein großes Abenteuer zu erleben.‹ Und ehrlich gesagt, es war wirklich ein Abenteuer.«
Das Tuch glitt von einem langen, scharfen, spitzen Gegenstand in ihrer Hand. Er war aus einem einzigen Stück grüner Jade geschnitten, und die Abbildungen auf dem Griff stellten eindeutig Kolibrifedern dar, außerdem zwei tief in den Stein eingravierte Augen. Ähnliches hatte ich zuvor schon im Museum gesehen, aber noch nie ein so fein gearbeitetes Exemplar. Und nun verstand ich auch, warum Onkel Vervain die Kolibris in dem Gartenhof dort unten so sehr liebte.
»Jawohl, mein Herr«, sagte Merrick. »Er sagte, dass diese
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