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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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genug, um ihren Kaffee auszutrinken, dann schob sie ihren Stuhl nachlässig zurück und stand auf, nahm den Topf vom Ofen und schüttete uns noch etwas von dem starken Gebräu ein. Sie setzte sich wieder und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, eine Angewohnheit von ihr. All diese Gesten ließen sie wie ein Kind erscheinen, vielleicht kam es auch durch ihre Haltung - sie saß ganz gerade aufgerichtet wie eine Klosterschülerin auf dem Stuhl und hatte die Arme verschränkt.
    »Wissen Sie, es ist schön, dass Sie mir zuhören«, sagte sie, wobei sie von mir zu Aaron schaute. »Ich habe noch nie jemandem die ganze Geschichte erzählt. Höchstens die eine oder andere kleine Begebenheit. Er hat Cold Sandra jede Menge Geld vermacht. Damals kam sie erst am nächsten Tag um die Mittagszeit heim und wollte wissen, wo sie ihn hingebracht hatten, und dann begann sie zu schreien und mit Gegenständen zu werfen, und sie sagte, wir hätten ihn nicht wegbringen lassen dürfen in die Leichenhalle. ›Und was, glaubst du, hätten wir mit ihm tun sollen?‹, fragte die Große Nananne. ›Denkst du, in dieser Stadt gäbe es keine Be stimmungen, was mit Toten zu geschehen hat? Bildest du dir ein, wir könnten ihn einfach in den Garten bringen und da begraben?‹ Im Endeffekt war es so, dass seine Verwandten aus Boston kamen und seinen Leichnam mitnahmen, und sobald Sandra den Scheck sah, wissen Sie, über das Geld, das er ihr hinterlassen hatte, da war sie gleich aus dem Haus und verschwunden. Natürlich wusste ich nicht, dass ich sie da zum letzten Mal gesehen hatte. Ich wusste nur, dass sie ein wenig Kleidung in einen neuen roten Lederkoffer geworfen hatte und dass sie wie ein Model in den Illustrierten einen weißen Seidenanzug trug. Sie hatte das Haar zu einem Knoten im Nacken zusammengefasst. Sie brauchte kein Makeup, so schön war sie; nur dunkelvioletten Lidschatten hatte sie aufgelegt und Lippenstift, der ganz dunkel war, ich glaube, auch violett. Ich wusste, dieses dunkle Lila bedeutete Ärger. Sie war so schön.
    Sie küsste mich und gab mir ein Flasche Chanel No. 22 und sagte, die sei für mich. Sie sagte, dass sie wiederkommen und mich holen würde. Sie sagte, sie wollte nur schnell ein Auto kaufen, weil sie hier wegziehen wollte. Sie sagte: ›Wenn ich nur über diesen nassen Damm komme, ohne zu ertrinken, dann schaffe ich es auch aus der Stadt heraus.«
    Merrick hielt einen Moment inne, mit gerunzelten Brauen und leicht geöffnetem Mund. Dann nahm sie den Faden wieder auf. »›Du wirst Merrick sowieso nicht abholen! Den Teufel wirst du tun!‹ Das sagte die Große Nananne zu ihr. ›Du hast dich doch immer nur herumgetrieben und hast auch das Kind verwahrlost herumstreunen lassen, nun, das Kind bleibt bei mir, und du, geh zum Teufel!« Wieder brach sie ab. Ihr kindliches Gesicht wurde ruhig. Ich befürchtete, sie würde zu weinen beginnen. Ich glaube, sie schluckte die Tränen ganz bewusst herunter. Dann räusperte sie sich und sprach weiter. Ihre Worte waren kaum hörbar, als sie sagte: »Ich glaube, sie ging nach Chicago.«
    Aaron wartete respektvoll ab, während sich Schweigen in der alten Küche ausbreitete. Ich hob meine Tasse und nahm noch einen tiefen Schluck, kostete das Aroma sichtlich aus, sowohl, um ihr meine Anerkennung zu zeigen, als auch, weil er wirklich köstlich war.
    »Du gehörst zu uns, Liebling«, sagte ich.
    »Oh, ich weiß, Mr. Talbot«, sagte sie mit piepsiger Stimme, und ohne die Augen von einem fernen unsichtbaren Punkt zu lösen, hob sie die rechte Hand und legte sie auf meine. Ich habe diese Geste nie vergessen Es war, als tröste sie mich. Dann sprach sie weiter. »Nun, die Große Nananne weiß es jetzt, sie weiß nun, ob meine Mutter noch lebt oder tot ist.«
    »Ja, sie weiß es«, antwortete ich; die Beteuerung war mir herausgerutscht, ehe ich recht überlegt hatte. »Und was sie auch erfuhr, sie hat ihren Frieden.«
    In der Stille, die folgte, wurde mir schmerzlich bewusst, wie sehr Merrick litt. Störend drang das Lärmen der TalamascaLeute herüber, die jeden Gegenstand im Haus von der Stelle rückten. Ich hörte, wie die größeren Statuen scharrend verschoben oder gezogen wurden; ich hörte, wie Klebeband abrollte und abgerissen wurde.
    »Ich habe den Mann - Matthew - schrecklich gern gehabt«, sagte Merrick leise. »Ich habe ihn wirklich gern gehabt. Er lehrte mich, das Zauberbuch zu lesen. Er lehrte mich auch, all die Bücher zu lesen, die Onkel Vervain uns hinterlassen hatte. Er

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