Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
Sandra je zurückkehrt, soll sie mich hier nicht finden.« Sie sah mich mit stetem Blick an. »Sehen Sie, sie ist meine Mutter, und sie könnte mich von Ihnen fortnehmen; das will ich auf keinen Fall.«
»Dazu wird es auch nicht kommen«, antwortete ich, obwohl kein Mensch auf der ganzen Welt sie vor Mutterliebe schützen konnte, und Merrick wusste das auch. Ich konnte nur mein Möglichstes tun, um sicherzustellen, dass wir nach Merricks Wünschen handelten.
»Kommen Sie mit«, sagte sie, »oben auf dem Dachboden sind noch eine paar Sachen, die ich persönlich mitnehmen sollte.« Der Dachboden bildete also das zweite Geschoss des Hauses. Er duckte sich unter das tief herabgezogene Dach, das ich ja schon beschrieben hatte. Vier Dachgauben gab es, eine für jede Himmelsrichtung, vorausgesetzt, man hatte das Haus entsprechend ausgerichtet. Ich hatte keine Ahnung, ob das zutraf. Wir stiegen über eine enge, gewundene Hintertreppe hinauf und betraten einen Raum, der so angenehm nach Holz duftete, dass ich ganz überrascht war. Er wirkte irgendwie heimelig und sauber, trotz der Staubschichten.
Merrick knipste eine grelle elektrische Glühbirne an, und dann fanden wir uns inmitten von Reisetaschen, vorsintflutlichen Schrankkoffern und mit Lederbändern umwundenen Kleidertruhen wieder. Diese Koffer waren so betagt, dass jeder Antiquitätenhändler entzückt gewesen wäre. Und ich, der ich vorhin ein Buch über Magie gesehen hatte, gierte schon nach weiteren. Ein Koffer, erklärte Merrick, war wichtiger als alle anderen, und den platzierte sie nun auf den staubigen Dachbalken unter die pendelnde Glühbirne. Es war eine Segeltuchtasche mit lederverstärkten Ecken, die sich ohne Umstände öffnen ließ, da sie nicht abgeschlossen war. Dann begutachtete Merrick mehrere in Stoff eingeschlagene Bündel. Auch hier waren weiße Hüllen benutzt worden oder, einfacher ausgedrückt, baumwollene Kissenbezüge, die schon bessere Zeiten gesehen hatten.
Es war offensichtlich, dass der Inhalt dieser Tasche von außerordentlicher Bedeutung war, aber wie außerordentlich wirklich, hatte ich nicht ahnen können.
Ich war erstaunt, als Merrick nun, während sie ein leises Gebet murmelte - ein Ave, wenn ich mich recht erinnere -, eines der Bündel nahm, den Stoff zurückschlug und so ein verblüffendes Objekt enthüllte: eine lange, grüne Axtklinge, in die auf beiden Seiten Gravuren eingemeißelt waren. Sie war gut und gerne sechzig Zentimeter lang und recht schwer, obwohl Merrick sie mühe los halten konnte. Und Aaron und ich konnten beide etwas wie ein im Profil dargestelltes Gesicht erkennen, das tief in den Stein geschnitten war.
»Ganz und gar aus Jade«, sagte Aaron ehrfürchtig. Der Gegenstand war auf Hochglanz poliert, und der abgebildete Kopf war mit einem wunderbar ausgearbeiteten Kopfschmuck versehen, der, wenn ich nicht irre, aus einer Federhaube und Kornähren bestand.
Das Porträt oder Ritualbildnis, was es auch war, war so groß wie ein menschliches Gesicht.
Als Merrick den Gegenstand drehte, sah man, dass auf der Rückseite eine Gestalt in voller Körpergröße eingraviert war. In das schmale Ende der Klinge war ein kleines Loch eingelassen, vielleicht, damit man es an einem Gürtel befestigen konnte. »Mein Gott«, sagte Aaron, »das ist olmekisch, nicht wahr? Das muss unbezahlbar sein.«
»Ja, wenn ich raten sollte, würde ich sagen, olmekisch«, antwortete ich. »Außer in Museen habe ich ein so großes, so herrlich gearbeitetes Stück noch nie gesehen.« Merrick war nicht im Mindesten überrascht. »Sagen Sie das nicht, Mr. Talbot«, sagte sie sanft. »Sie haben Dinge wie dieses in Ihren eigenen Stahlkammern.« Dabei hielt sie meinen Blick einen langen, träumerischen Augenblick gefangen.
Ich konnte kaum atmen. Wie konnte sie das wissen? Aber dann sagte ich mir, dass sie das von Aaron erfahren haben konnte. Nur, dass ein Blick auf ihn mir zeigte, dass ich da falsch lag. »Nein, nicht so schön wie das da, Merrick«, antwortete ich ihr wahrheitsgemäß. »Und wir haben auch nur Fragmente.« Als sie nicht antwortete, sondern nur dastand und uns die schimmernde Beilklinge mit beiden Händen darbot, als genösse sie das Spiel des Lichts darauf, fuhr ich fort.
»Das ist ein Vermögen wert, Kind«, sagte ich, »und ich habe nicht erwartet, so etwas hier zu finden.«
Sie dachte ein ganze Weile nach, dann schenkte sie mir ein ernstes, verzeihendes Nicken.
»Meiner Ansicht nach«, sprach ich weiter, in dem Bemühen,
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