Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
Die Ältesten antworteten: »David, wir zweifeln nicht an Ihren Absichten, wir sorgen uns um Ihr Herz. Die Zuneigung von Kindern kann sehr unbeständig sein.« Aaron katalogisierte währenddessen Merricks Besitztümer und stellte schließlich in den Außengebäuden einen ganzen Raum dafür zur Verfügung, in dem auch die von den beiden Altären ent fernten Statuen untergebacht werden sollten. Zu Onkel Vervains Vermächtnis gehörte nicht nur eine, sondern mehrere mittelalterliche Handschriften. Es gab keine Erklärung, wie er an diese Bücher gekommen war, aber es gab Beweise, dass er sie benutzt hatte. In einigen fanden wir nämlich mit Bleistift ge schriebene, datierte Anmerkungen von ihm.
    In einem Karton vom Dachboden der Großen Nananne lag ein ganzer Packen Bücher über Magie, lauter Veröffentlichungen aus den Jahren um 1800, als das »Übersinnliche« in London und auf dem europäischen Kontinent groß in Mode gewesen war, samt Séancen und dazugehörigem Medium und Ahnlichem. Auch in diesen Veröffentlichungen fanden sich Bleistiftanmerkungen. Außerdem entdeckten wir ein schon auseinander fallendes Sammelheft, das voll gestopft war mit brüchigen, vergilbten Zeitungsausschnitten, alle aus New Orleans, und in allen ging es um Voodoo-Kräfte, die man dem »hiesigen, berühmten Doktor Jerome Mayfair« zuschrieb. Merrick identifizierte ihn für uns als Onkel Vervains Großvater, den Alten Mann. Tatsächlich hatte ganz New Orleans über ihn Bescheid gewusst, und es gab eine Menge erstaunlicher Artikel darüber, dass die städtische Polizei Voodoo-Zusammenkünfte aufgelöst und zusammen mit farbigen und schwarzen Frauen auch viele »weiße Damen der Gesellschaft« festgenommen hatte.
    Der anrührendste Fund allerdings war etwas, das für uns als Orden übersinnlicher Detektive - wenn wir denn solche sind am wenigsten von Nutzen war: Es handelte sich um das Tagebuch des farbigen Fotografen, der allerdings nicht in direkter Linie mit Merrick verwandt war. Hier hatte ein gewisser Laurence Mayfair ein beschauliches, nettes Schriftstück hinterlassen, in dem neben anderem das tägliche Wetter, die Anzahl der Kunden in seinem Studio und andere unwichtige örtliche Ereignisse aufgeführt wur den. Es stellte einen Beleg für ein glückliches Leben dar, da war ich mir sicher, und wir zögerten nicht, es sorgfältig zu kopieren und die Kopie der örtlichen Universität zukommen zu lassen, wo ein solches altes Dokument, das von einem Farbigen stammte, ge bührend geschätzt würde.
    Im Laufe der Zeit schickten wir verschiedenen Universitäten im Süden ähnliche Dokumente und auch Abzüge von Fotos, aber diese Schritte gingen wir um Merricks willen sehr behutsam an. Merrick wurde in den Begleitschreiben nie erwähnt. Sie legte keinen Wert darauf, dass man die Herkunft des Materials zu ihr zurückverfolgen konnte, weil sie ihre Familienverhältnisse nicht anderen außerhalb des Ordens offen legen wollte. Ich glaube, sie fürchtete - und vielleicht mit Recht -, dass ihr Aufenthalt bei uns dann in Frage gestellt werden könnte.
    »Sie sollen etwas über die Farbigen der Südstaaten erfahren«, sagte sie bei Tisch, »aber über mich brauchen sie nichts zu wissen.« Sie war über unsere Bemühungen in dieser Sache sehr erleichtert, aber sie lebte mittlerweile in einer anderen Welt. Das von Tragik umgebene Kind, das mir an jenem ersten Abend die Daguerreotypien gezeigt hatte, war für immer verschwunden. Sie war nun Merrick, die Studentin, die stundenlang über ihren Büchern brütete, sie war die Merrick, die vor, während und nach den Nachrichtensendungen leidenschaftlich über Politik diskutierte. Sie war die Merrick, die siebzehn Paar Schuhe besaß und dreimal am Tag ein anderes Paar anzog. Sie war Merrick, die Katholikin, die darauf bestand, jeden Sonntag zur Messe zu gehen, selbst wenn eine biblische Sintflut auf unsere Plantage und die nahe gelegene Kirche herabging.
    Natürlich fand ich das alles sehr erfreulich, wenn ich auch wusste, dass viele Erinnerungen noch tief in ihr schlummerten und irgendwann zu Tage kommen mussten.
    Endlich, im Spätherbst, blieb mir keine Wahl mehr, ich musste endgültig nach London zurückkehren. Für Merrick waren noch weitere sechs Monate des Lernens in Oak Haven vorgesehen, ehe sie ein Internat in der Schweiz aufsuchen sollte, und unser Abschied war, gelinde ausgedrückt, tränenreich. Ich war schon längst nicht mehr Mr. Talbot für sie, sondern David, wie für viele andere Mitglieder

Weitere Kostenlose Bücher