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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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auch, und als ich an der Gangway des Flugzeugs stand und wir uns zum Abschied winkten, sah ich sie seit jener entsetzlichen Nacht, als sie den Geist von Honey in the Sunshine abgeschüttelt hatte, zum ersten Mal wieder heftig weinen.
    Es war schrecklich. Die Maschine konnte für mich gar nicht schnell genug wieder landen, damit ich wenigstens in der Lage war, ihr zu schreiben.
    Und dann waren ihre regelmäßigen Briefe für Monate der interessanteste Teil meines Lebens.
    Im Februar des folgenden Jahres saß ich mit Merrick im Flugzeug nach Genf. Wenn sie sich auch angesichts des Wetters vollkommen fremd fühlte, lernte sie im Internat doch mit Eifer und träumte dabei vo n den Sommern in Louisiana und den zahlreichen Reisen, die sie in den Ferien in die von ihr so geliebten Tropen führten.
    Eine dieser Touren brachte sie wieder nach Mexiko - zur schlimmsten Jahreszeit -, wo sie die Ruinen der Maja besichtigen wollte. Und in jenem Sommer vertraute sie mir an, dass wir die Höhle abermals würden besuchen müssen. »Noch bin ich nicht so weit, meine Schritte dorthin zurückzulenken«, sagte sie, »aber die Zeit wird kommen. Ich weiß, dass ihr Matthews Aufzeichnungen aufbewahrt habt, und mein Gefühl sagt mir, dass mich auf dieser Reise vielleicht noch andere als nur Matthew führen werden. Aber mach dir keine Sorgen, es ist noch zu früh für diese Fahrt.«
    Im Jahr darauf besuchte sie Peru, danach kam Rio de Janeiro an die Reihe, aber im Herbst ging es immer zurück ins Internat. Es fiel ihr schwer, in der Schweiz Freundschaften zu schließen, obwohl wir unser Möglichstes taten, ihr ein gewisses Gefühl von Normalität zu vermitteln. Doch die Talamasca an sich, ihre ganze Natur, ist einmalig und geheimnisumwittert, und trotz unserer Bemühungen war ich mir nicht sicher, ob sie sich in der Schule und im Umgang mit anderen Schülern stets wohl fühlte.
    Als Merrick achtzehn war, teilte sie mir in einem Schreiben offiziell mit, dass sie mehr als sicher sei, ihr weiteres Leben in der Talamasca verbringen zu wollen, selbst als wir ihr versicherten, dass wir ihre Ausbildung weiterhin übernehmen würden, wie auch immer ihre Entscheidung ausfiele. Sie wurde als Postulant zuge lassen - so bezeichnen wir ein sehr junges Mitglied unseres Ordens -, und sie ging nach Oxford, um dort ihr Studium aufzunehmen.
    Ich war ganz aufgeregt, sie in England zu wissen. Ich holte sie am Flughafen ab und war verblüfft über die hoch gewachsene, anmutige junge Frau, die sich in meine Arme warf. An jedem Wochenende besuchte sie das Mutterhaus. Auch hier bedrückte sie die kalte Witterung sehr, aber sie wollte trotzdem bleiben.
    An manchen Wochenenden unternahmen wir Ausflüge zur Kathedrale nach Canterbury oder nach Stonehenge oder auch nach Glastonbury - worauf sie gerade Lust hatte. Und immer führten wir unterwegs die interessantesten Gespräche. Ihr NewOrleans-Akzent - so hatte ich ihn mangels einer passenderen Bezeichnung immer genannt - war vollkommen verschwunden. Sie kannte die Klassiker inzwischen viel besser als ich, ihr Griechisch war perfekt, und sie sprach Latein mit den anderen Ordensmitgliedern, was heutzutage kaum einer ihrer Generation kann. Ihr Spezialgebiet war Koptisch, und so übersetzte sie koptische Schriften über Zauberei, die schon seit Jahrhunderten im Besitz der Talamasca waren. Die Geschichte der Zauberkünste hatte es ihr angetan, und sie überzeugte mich von einer offensichtlichen Tatsache, nämlich dass Zauberei, dass Magie überall in der Welt und in jeder Ära in etwa das Gleiche ist. Oftmals übermannte sie in der Bibliothek des Mutterhauses die Müdigkeit, und sie sank mit dem Kopf auf einem Buch in den Schlaf. Kleider interessierten sie überhaupt nicht mehr, sah man von ein paar sehr hübschen, extrem femininen Modellen ab, und nur diese hochhackigen Schuhe kaufte und trug sie noch regelmäßig.
    Und ihr Lieblingsparfüm Chanel No. 22 - nun, nichts brachte sie davon ab, es reichlich auf Haar, Körper und Kleidung aufzutragen. Die meisten von uns fanden es köstlich, und wo immer ich mich im Mutterhaus aufhielt, wusste ich: Sobald dieser liebliche Duft herüberwehte, hatte Merrick das Haus betreten. Zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag schenkte ich ihr eine dreireihige Kette aus weißen, gleich großen Perlen. Die hatte natürlich ein Vermögen gekostet, aber das störte mich nicht. Ich besaß schließlich auch ein Vermögen. Das Geschenk rührte Merrick zutiefst, und von da an legte sie die Kette bei

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