Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
mit dicht gelockten blonden Haaren, die sich um seine Schultern schmiegten. Sein Gesicht war in Schatten gehüllt, doch seine gelben Augen blickten stechend im Schein der Kerzen.
»Ich war es«, flüsterte Merrick. »Ich habe dich getötet.« Ich spürte Merricks weichen Körper. Eng schlang ich die Arme um sie. Wieder betete ich zu Oxalá, diesmal lautlos:
»Schütze uns vor diesem Geist, wenn er Böses im Schilde führt. Oxalá, du, der die Welt geschaffen hat, du, der in der Höhe herrscht, du, der in den Wolken sitzt, schütze uns, sieh nicht meine Fehler, wenn ich dich anrufe, sondern schenk mir deine Gnade, schütze uns, wenn dieser Geist uns etwas antun will.« Merrick zitterte nicht, nein, es schüttelte sie geradezu, und ihr Körper war schweißbedeckt wie damals, vor vielen Jahren, als sie besessen war.
»Ich habe die Puppen in den Graben geworfen, ich habe sie darin ertränkt, ich war es. Ich habe sie ertränkt. Ich. Ich habe gebetet: ›Lass sie sterben!‹ Ich wusste von Cold Sandra, dass sie das Auto kaufen wollte. Ich sagte: ›Lass es von der Brücke stürzen, lass sie ertrinken.‹ Ich sagte: ›Wenn sie den See überqueren, lass sie sterben.‹ Cold Sandra hatte solche Furcht vor dem See, und ich sagte: ›Lass sie sterben.‹
Die Gestalt im Türrahmen schien so körperlich zu sein wie je ein Wesen, das ich geschaut hatte. Das überschattete Gesicht zeigte keine Regungen, doch die gelben Augen blieben fest auf einen Punkt geheftet. Dann drang eine Stimme aus der Gestalt hervor, leise und hasserfüllt.
»Dummkopf, das hast nicht du fertig gebracht!«, sagte die Stimme. »Dummkopf, glaubst du, du hast das verursacht? Du hast nie etwas fertig gebracht! Dummkopf, du könntest keinen Fluch aus sprechen, und wenn es um deine Seele ginge!« Ich fürchtete, Merrick würde das Bewusstsein verlieren, aber irgendwie blieb sie doch auf den Füßen, obwohl meine Arme bereit waren, sie aufzufangen.
Sie nickte. »Vergib mir, Honey, dass ich es wollte«, sagte sie mit einem heiseren Flüstern, das einzig ihr zu Eigen war. »Vergib mir, Honey, dass ich es wollte. Aber ich hatte mit euch gehen wollen. Vergib mir!«
»Wende dich an Gott um Vergebung«, tönte die leise Stimme aus dem düsteren Antlitz. »Wende dich nicht an mich.« Wieder nickte Merrick. Ich spürte ihr klebriges Blut über meine Finger rinnen. Abermals betete ich zu Oxalá. Aber die Worte kamen automatisch. Ich war mit Herz und Sinn an das Wesen im Türrahmen gefesselt, das sich weder bewegte noch verging.
»Lass dich auf die Knie nieder«, sagte die Stimme.« »Schreib mit deinem Blut, was ich dir mitteile.«
»Tu’s nicht!«, hauchte ich.
Doch Merrick ließ sich vorwärts auf die Knie sinken, auf den Boden, der nass und glitschig war von Blut und verschüttetem Rum. Erneut versuchte ich mich zu bewegen, aber es ging nicht. Es war, als hätte man meine Füße an die Dielen genagelt. Merrick kehrte mir den Rücken zu, aber ich wusste, sie presste die Finger tiefer in ihre Wunden, damit sie stärker bluteten, und dann hörte ich, wie das Wesen an der Tür zwei Namen nannte. Den ersten verstand ich ganz deutlich. »Guatemala City, da müsst ihr landen«, sagte der Geist, »und Santa Cruz del Flores ist der der Höhle am nächsten gelegene Ort.«
Merrick hockte sich auf die Fersen, ihr Körper wogte, ihr Atem kam schnell und rau, während sie die Wunde quetschte, damit Blut auf den Boden tropfte. Dann begann sie mit dem rechten Zeigefinger die Namen zu schreiben, die sie nun mit eigener Stimme wiederholte.
Ich betete ununterbrochen um Kraft gegen die Gestalt, aber ich kann nicht behaupten, dass es meine Gebete waren, die sie langsam verblassen ließen.
Merrick stieß einen schrecklichen Schrei aus. »Honey, verlass mich nicht!«, rief sie. »Honey, geh nicht fort! Honey, bitte komm zurück!« Sie schluchzte. »Honey in the Sunshine, ich liebe dich! Lass mich nicht allein hier zurück.« Aber der Geist war fort.
13
Die Schnittwunden waren nicht tief, wenn sie auch schrecklich geblutet hatten. Es gelang mir, Merrick ordentlich zu verbinden, und dann brachte ich sie ins nächste Krankenhaus, wo sie richtig versorgt wurde.
Ich weiß nicht mehr, welchen Unsinn wir dem behandelnden Arzt erzählten, nur, dass wir ihn überzeugen konnten, dass sich Merrick die Wunden zwar selbst beigebracht hatte, sie aber trotzdem ganz richtig im Kopf war. Anschließend bestand ich darauf, zum Mutterhaus zu fahren, und Merrick, die sich zu der Zeit schon in
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