Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
der Höhle erfährt.«
»Die Öffentlichkeit interessiert sich nicht für irgendeine weitere olmekische Ruine!«, sagte ich. »Jede Menge Universitäten arbeiten sich durch Urwälder und Regenwälder. Mittelamerika ist übersät mit antiken Städten! Was ist an diesem einen Ort so wichtig?«
»Ich habe es Onkel Vervain versprochen«, sagte Merrick ernsthaft. »Ich habe ihm versprochen, dass ich mir den ganzen Schatz hole.
Ich habe versprochen, ihn hierher zu schaffen. ›Wenn du erwachsen bist!‹, sagte er zu mir, und ich versprach es.« »Für mich hört es sich so an, als hätte Cold Sandra das versprochen«, sagte ich schneidend. »Oder Honey. Du warst - wie alt? sieben, als der alte Mann starb!«
»Ich muss es tun«, wiederholte sie düster.
»Hör zu«, beschwor ich sie, »wir lassen diesen ganzen Plan fallen. Es ist auch wegen der politischen Lage zu gefährlich, in den mittelamerikanischen Dschungel vorzustoßen«, fügte ich hinzu. »Ich werde die Reise nicht billigen, ich bin der Generaloberst. Du kannst das nicht über meinen Kopf hinweg machen.«
»Das habe ich auch nicht vor«, sagte sie etwa nachgiebiger. »Ich brauche dich ja dabei. Und ich brauche dich jetzt.« Sie unterbrach sich, beugte sich zur Seite und drückte ihre Zigarette aus, dann füllte sie abermals ihr Glas nach. Sie nahm einen tiefen Schluck und lehnte sich wieder in ihren Sessel zurück. »Ich muss Honey beschwören«, flüsterte sie. »Warum kann es nicht wenigstens Cold Sandra sein?«, fragte ich verzweifelt.
»Du verstehst das nicht«, sagte sie. »Ich habe es die ganzen Jahre in mir verschlossen gehalten, aber ich muss Honey rufen. Sie ist in meiner Nähe! Sie ist nie weit weg! Ich habe sie immer gespürt. Ich habe sie mit meiner Hexenmacht abgewehrt. Ich habe meine Bannsprüche und meine Zauberkräfte eingesetzt, um mich vor ihr zu schützen. Aber sie ist niemals ganz weg.« Wieder nahm sie einen großen Schluck Rum. Dann sagte sie: »David, Onkel Vervain liebte Honey in the Sunshine. Honey kommt in diesen Träumen ebenfalls vor.«
»Ich glaube, das ist nur deine gruselige Einbildung!«, behauptete ich. Das amüsierte Merrick so, dass sie hell und perlend auflachte. Es erschreckte mich. »Hör dich nur reden, David! Als Nächstes erzählst du mir, es gäbe keine Geister und Vampire.
Und dass die Talamasca nur ein Märchen ist, dass es einen solchen Orden gar nicht gibt!«
»Warum muss es ausgerechnet Honey sein?« Merrick schüttelte den Kopf. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ich konnte sie im flackernden Kerzenlicht sehen. Langsam erfüllte mich echte Verzweiflung. Ich stand auf, marschierte ins Esszimmer, fand die Flasche mit dem Macallan-Scotch und die Bleikristallgläser und goss mir einen ordentlichen Schluck ein. Dann ging ich zurück zu Merrick. Doch kurz darauf trottete ich noch einmal ins Esszimmer, holte mir die Flasche und stellte sie auf das Nacht schränkchen zu meiner Linken, ehe ich mich wieder an meinem Platz niederließ.
Der Scotch schmeckte wunderbar. Ich hatte im Flugzeug nichts getrunken, um für unser Wiedersehen munter zu sein, und nun besänftigte der Whisky meine Nerven aufs Angenehmste. Merrick weinte immer noch.
»Gut, gut, du wirst Honey beschwören, und aus irgendeinem Grund glaubst du, dass sie den Namen der Stadt oder des Dorfes kennt.«
»Honey mochte diese Orte«, sagte sie, ohne sich von meinem drängenden Tonfall stören zu lassen. »Ihr gefiel der Name des Dorfes, von dem aus wir zu der Höhle wanderten.« Sie wandte sich mir zu. »Verstehst du nicht? Die Namen sind in ihrem Bewusstsein eingebettet wie Edelsteine in eine Fassung. Honey ist hier und zwar mit all ihrem Wissen! Sie braucht sich nicht auf ihr Gedächtnis zu verlassen wie ein lebender Mensch. Das Wissen ist unmittelbar in ihr, und ich muss sie dazu bringen, dass sie es rausrückt.«
»In Ordnung, ich verstehe es ja. Doch ich bin der Ansicht, es ist zu gefährlich. Und außerdem - warum ist Honeys Seele nicht ins Jenseits eingegangen?«
»Sie kann nicht, bis ich ihr sage, was sie wissen will.«
Das verblüffte mich vollends. Was konnte Honey wissen wollen? So plötzlich, wie eine eben noch schlummernde Katze ihre Jagdhaltung einnimmt, erhob sich Merrick von ihrem Stuhl und verschloss die Tür zur Diele. Ich hörte, wie sie den Schlüssel drehte, und sprang auf die Füße. Aber ich blieb stehen, weil ich mir nicht sicher war, was sie vorhatte. Ganz gewiss war sie nicht so betrunken, dass ich drastisch meine
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