Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
widersprechen.
»Das macht nichts. Es liegt auf jeden Fall dort. Es ist nur zu klein, als dass es in den Karten eingezeichnet wäre, die man hier bekommen kann. Im Norden von Guatemala wird man den Ort kennen. Überlass das mir. Man kann nicht jede Ruine untersuchen, so viel Geld ist gar nicht vorhanden, und besonders in der Gegend gibt es eine Menge Ruinen, möglicherweise von einem Tempelkomplex oder sogar einer Stadt. Du selbst hast mir das erzählt. Ich kann mich an einen besonders bemerkenswerten Tempel erinnern. Willst du den nicht auch gern mit eigenen Augen sehen?« Sie benahm sich wie ein Kind, mürrisch und trotzig. »David, bitte, jetzt zeig endlich, dass du der Generaloberst bist, und arrangiere das Ganze für uns beide.«
»Aber warum glaubst du, dass Honey in the Sunshine dir so ohne weiteres deine Fragen beantwortet hat?«, wollte ich wissen. »Findest du das nicht verdächtig?«
»David, das ist ganz einfach«, sagte Merrick. »Ich sollte etwas Nützliches erfahren, weil sie will, dass ich sie abermals rufe.« Die offensichtliche Wahrheit dieser Feststellung schockierte mich sehr. »Weiß Gott, Merrick, du gibst diesem Geist Kraft! Dabei sollte er doch wohl besser ermutigt werden, sich dem göttlichen Licht zuzuwenden.«
»Natürlich dränge ich sie auch dazu«, antwortete Merrick, »aber Honey wird mich nicht verlassen. Ich habe dir das an jenem Abend gesagt. Ich habe dir gesagt, dass ich ihre Gegenwart schon seit Jahren spüre. Die ganze Zeit habe ich so getan, als ob es keine Honey gäbe, als ob es diesen Dschungel nicht gäbe, damit diese schmerzlichen Erinnerungen nicht wieder aufleben mussten, damit ich mich in akademischen Studien verausgaben konnte. Du weißt es. Aber ich habe meine elementare akademische Ausbildung abge schlossen. Und jetzt muss ich mich rückwärts wenden. Sprich einfach nicht mehr von Honey. Um Himmels willen, denkst du, ich würde gern daran denken, was ich getan habe?« Und schon wandte sie sich wieder ihren Karten zu, ließ mir eine neue Flasche Macallan kommen und erklärte mir, dass wir für die Tour eine Campingausrüstung brauchten und ich jetzt endlich mit den Vorbereitungen beginnen sollte.
Schließlich plädierte ich dafür, bis Weihnachten zu warten, weil in dem Landstrich gerade noch die Regenzeit herrschte. Merrick war auf den Einwand vorbereitet: Die Regenzeit sei vorbei. Merrick hatte die Wetterberichte tagtäglich verfolgt. Wir konnten aufbrechen.
Mir blieb also nichts anderes übrig, als die Reise in Angriff zu nehmen. Wenn ich Merricks Plan in meiner Eigenschaft als Generaloberst verworfen hätte, wäre sie allein nach Mittelamerika aufgebrochen. Als Vollmitglied des Ordens hatte sie schon über mehrere Jahre hohe Beträge für ihren Unterhalt bekommen und jeden Pfennig davon gehortet. Sie konnte sich ohne weiteres allein aufmachen, und das tat sie ganz deutlich kund. »Sieh mal«, sagte sie, »es wird mir das Herz brechen, gegen deinen Willen zu reisen, aber wenn es nicht anders geht, tu ich’s.« Und so nahmen wir also vier so genannte Feldassistenten als Be gleitung mit, die sich sowohl um die Reiseausrüstung kümmern als auch Waffen mitführen sollten, falls wir auf unserer Route Banditen begegneten.
Für die wissbegierigen Leser will ich hier kurz erklären, was es mit diesen Feldassistenten auf sich hat. Es sind Angestellte, die die Talamasca weltweit in ihrem Dienst stehen hat. Sie sind keine Ordensmitglieder, sie haben keinen Zugang zu den Archiven und erst recht keinen Zugang zu den Stahlkammern der Talamasca, vom Wissen darüber ganz zu schweigen. Sie legen keinen Eid ab wie die Vollmitglieder des Ordens. Sie brauchen keine übersinnlichen Fähigkeiten und besitzen auch keine. Und sie haben sich nicht für eine feste Zeit oder sogar fürs ganze Leben verpflichtet. Eigentlich sind sie Angestellte der diversen Tochtergesellschaften der Talamasca, und ihre hauptsächliche Aufgabe ist es, Mitglieder auf archäologischen oder Forschungsexpeditionen zu begleiten. Sie sollen uns im Ausland unterstützen und ganz allgemein das tun, was man von ihnen verlangt. Sie sind Experten, wenn es darum geht, Pässe oder Visa zu besorgen, und meistens besitzen sie einen Waffenschein des jeweiligen Landes. Viele kommen aus dem Rechtswesen oder haben in der Armee des jeweiligen Landes gedient. Und sie sind bewundernswert zuverlässig. Sollten wir die Höhle und ihre Schätze finden, wäre es Sache der Feldassistenten, die Artefakte legal und sicher aus dem
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