Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
dieses Mädchen, Bianca, war kein so offensichtliches Wunderkind, wie köstlich sie mir auch erschien. O ja, sie war ganz nach meinem Geschmack, als hätte ich sie selbst geschaffen – Pandoras Tochter –, sie war, als hätte Botticelli sie geschaffen, bis hin zu dem irgendwie träumerischen Gesichtsausdruck. Und sie besaß die – eigentlich unmögliche – Mischung aus Leidenschaft und Gelassenheit.
Aber in meinen endlosen, trüben Jahren hatte ich viele schöne sterbliche Frauen getroffen, arme und reiche, jüngere und ältere, und nie hatte ich dieses schneidende, nahezu unkontrollierbare Verlangen verspürt, eine in meine Welt hinüberzuholen, sie in den Schrein mitzunehmen und all meine Weisheit vor ihr auszuschütten.
Wie sollte ich diesem Schmerz begegnen? Wie konnte ich ihn loswerden? Wie lange würde er mich quälen, gerade hier in Venedig, das ich mir erwählt hatte, um Trost bei Sterblichen zu suchen und der irdischen Welt meine lieben, gut erzogenen Knaben als heimlichen Lohn zurückzuerstatten?
Wenn ich mich abends erhob, musste ich mich aus sachten Träumen lösen, Träumen von Bianca, in denen wir beide in meinem Schlafgemach beieinander saßen und sprachen – ich von den langen, einsamen Wegen, die ich gegangen war, und sie davon, dass sie ihre unmessbare Kraft aus gemeinem, widerwärtigem Schmerz geschöpft hatte.
Selbst wenn ich bei meinen Schülern an der Tafel saß, konnte ich diese Träume nicht abschütteln. Sie überkamen mich, sodass es aussah, als hätte mich bei Wein und Speisen der Schlaf ereilt. Dann stürzten sich die Jungen auf mich und wetteiferten um meine Aufmerksamkeit, in dem Glauben, sie hätten ihren Herrn enttäuscht.
Wenn ich mich zum Malen in meine Räume zurückzog, war ich nicht weniger verwirrt. Ich malte ein großes Porträt von Bianca als Maria mit einem pummeligen Jesuskind. Ich legte die Pinsel nieder. Ich war nicht zufrieden. Wie sollte ich auch? Ich ließ Venedig hinter mir und ging hinaus aufs Land. Ich suchte nach den Übeltätern. Ich mästete mich mit Blut. Und dann kehrte ich in meine Gemächer zurück, legte mich auf mein Bett und träumte abermals von Bianca.
Schließlich schrieb ich kurz vor Tagesanbruch folgende Worte als Mahnung in mein Tagebuch:
Dieses Verlangen, mir einen unsterblichen Gefährten zu schaffen, ist hier ebenso wenig gerechtfertigt wie zuvor in Florenz. Du hast bisher überlebt, ohne diesen bösen Schritt zu tun, obwohl du sehr gut weißt, wie es gemacht wird – das lehrte dich der Druidenpriester –, und du wirst weiterleben, auch ohne ihn zu tun. Du kannst dieses Mädchen nicht zu dir in dein Reich holen, gleich, wie gut du es dir ausmalen kannst. Stell sie dir als ein Standbild vor, und stell dir vor, dass deine bösen Absichten eine Kraft sind, die dieses Standbild zerschmettern würden, sodass du sie in Scherben liegen sähest. Mach dir klar, dass du ebendas mit einem Plan bewirken würdest.
Ich nahm meine Besuche in Biancas Haus wieder auf. Es war, als sähe ich sie zum ersten Mal, so tief beeindruckte sie mich, denn ihre Stimme war so weich und unwiderstehlich, und ihr Gesicht und ihre Augen strahlten so welterfahren. Ihre Nähe war gleichzeitig Todespein und ungeheurer Trost.
Lange Monate besuchte ich sie immer wieder unter dem Vorwand, den vorgetragenen Gedichten zu lauschen, war manches Mal gezwungen, etwas zu den milden Diskussionen über ästhetische oder philosophische Fragen beizutragen, aber die ganze Zeit über wollte ich schlicht und einfach nur in ihrer Nähe sein, bis ins Kleinste ihre Schönheit erforschen und dann und wann die Augen schließen, um einfach ihrer melodiösen Stimme zu lauschen.
Besucher kamen und gingen bei ihren berühmten Gesellschaften. Niemand erkühnte sich in ihrem Haus, ihre hervorragende Stellung anzuzweifeln. Doch während ich dort saß, ein bloßer Zuschauer, und beim Schein der Kerzen vor mich hin träumte, spürte ich nach und nach etwas Heimtückisches und Grauenvolles.
Bestimmte Männer, die ihr Haus besuchten, trugen ein unheilvolles Mal. Bestimmte Männer, der göttlich betörenden Herrin des Hauses nur zu gut bekannt, nahmen mit ihrem Wein ein Gift auf, das in ihnen arbeitete, wenn sie die heitere Runde längst verlassen hatten, und das schließlich ihren Tod bewirkte. Als ich mit meinen übernatürlichen Sinnen dieses tückische Gift roch, dachte ich zuerst, es sei nur Einbildung. Aber dann nutzte ich die Gabe des Geistes und schaute dieser bezaubernden Hexe ins
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