Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
über diese Arbeit sehr, ebenso wie die Lehrer, die ich zu einer ersten Betrachtung in das große Studio einlud.
Auch hier rief die spezielle Art, wie ich die Gesichter gemalt hatte, Bemerkungen hervor, aber auch, dass das Bild insgesamt sehr ausgefallen war – der übertriebene Gebrauch von Farben und das viele Gold im Besonderen, und auch unnötige Kleinigkeiten wie etwa Insekten und Käfer, die ich hier und da eingefügt hatte. Eins wurde mir bewusst: Ich war frei. Ich konnte malen, was ich wollte. Niemand würde etwas merken. Aber dann dachte ich wieder: Vielleicht stimmt das ja nicht?
Es war schrecklich wichtig für mich, hier, mitten in Venedig, bleiben zu können. Ich wollte in dieser warmen, Liebe spendenden Welt nicht den Boden unter den Füßen verlieren. In den folgenden Wochen suchte ich alle Kirchen noch einmal auf, um Inspirationen für meine Bilder zu finden, und ich studierte manches groteske, bizarre Bild, das kaum weniger zum Staunen verleitete als meine eigenen Werke. Ein Maler namens Carpaccio hatte ein Bild Betrachtungen über die Passion geschaffen, das den toten Körper Christi vor einer Phantasielandschaft zeigte, an seiner Seite rechts und links zwei weißhaarige Heilige, die den Blick auf den Betrachter geheftet hatten, als wäre Christus gar nicht vorhanden!
In dem Werk eines Malers mit Namen Crivelli fand ich ein Zerrbild des gestorbenen Heilands zwischen zwei Engeln, die Ungeheuern glichen. Und derselbe Maler hatte eine Madonna gemalt, die fast ebenso lieblich und lebensecht wirkte wie Botticellis Göttinnen und Nymphen.
Abend für Abend erhob ich mich hungrig, aber nicht nach Blut – obwohl natürlich auch ich mich nährte, wenn ich dessen bedurfte –, sondern hungrig danach, in meiner Werkstatt zu arbeiten, und bald schon standen meine Gemälde, alle auf großen Holzpaneelen, im ganzen riesigen Haus herum, bis ich nicht weiter daran arbeiten konnte und mich lieber Neuem zuwandte, anstatt Altes zu perfektionieren; da gab ich endlich Vincenzo nach, der die Werke alle ordentlich an der Wand sehen wollte. Während der ganzen Zeit blieb mein Palazzo für die Bürger Venedigs verschlossen, obwohl er allen bekannt war und in dem Ruf stand, »seltsam« zu sein.
Zweifellos redeten meine Angestellten, nicht nur die Lehrer, auch die Dienerschaft, über das Hauswesen und über die Abende, die sie in Markus de Romanus’ Gesellschaft verbrachten, und ich machte keine Anstalten, den Klatsch zu unterbinden. Aber ich lud keinen der Venezianer ins Haus ein, gab keine öffentlichen Bankette, wie ich es in früheren Zeiten getan hatte. Ich hielt meine Portale verschlossen. Dennoch sehnte ich mich fortwährend nach dem Gegenteil. Ich hätte zu gern die vornehme Gesellschaft der Stadt in meinem Hause empfangen. Aber wenn ich schon nicht selbst Einladungen aussprach, so nahm ich wenigstens die an, die ich erhielt. Oftmals am frühen Abend, wenn ich keine Lust hatte, mit meinen Knaben zu speisen, und ehe ich mich wie ein Rasender meiner Malerei hingab, suchte ich den einen oder anderen Palast auf, wo eine Gesellschaft im Gange war. Dann trat ich ein, flüsterte auf Verlangen meinen Namen, wurde aber noch häufiger ohne Frage empfangen und entdeckte, dass alle Gäste sich um meine Anwesenheit rissen, dass sie von meinen Gemälden gehört hatten und von meiner berühmten kleinen Schule, in der die Lehrlinge kaum zu arbeiten brauchten.
Natürlich mied ich das helle Licht, trug vage, wenn auch freundliche Worte zur Unterhaltung bei, las die Gedanken der Anwesenden, soweit es mir für ein intelligentes Gespräch notwendig schien; und was jeder venezianische Edelmann für seine Person als selbstverständlich erachtete, nämlich die Liebe, die mir entgegenschlug, und die herzliche Aufnahme, die ich erfuhr, brachte mich fast an den Rand meines Verstandes. Ich weiß nicht, wie viele Monate so vergingen. Zwei meiner Schüler gingen nach Padua, und ich begab mich daraufhin in die Stadt und suchte mir gleich vier neue. Vincenzo erfreute sich bester Gesundheit. Von Zeit zu Zeit stellte ich neue, bessere Lehrer ein. Ich malte mit wilder Begeisterung. Und so ging alles seinen Gang.
Ein Jahr oder zwei gingen dahin, schätze ich, ehe ich von einer sehr schönen, geistreichen jungen Frau erfuhr, deren Haus stets den Dichtern und Stückeschreibern und klugen Philosophen geöffnet war, die zu empfangen sie lohnenswert fand. Versteh mich recht, das Wort »Lohn« bezeichnet hier keinen Geldeswert; es ging darum, dass man
Weitere Kostenlose Bücher