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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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interessant sein musste, um in den Kreis dieser Dame aufgenommen zu werden; Lyrik sollte romantisch und tiefsinnig sein; sie erwartete geschliffene, geistreiche Konversation, Fingerfertigkeit und Können, wenn man das Virginal oder die Laute spielte.
    Ich war rasend neugierig, die Frau kennen zu lernen, denn man erzählte sich viel darüber, wie reizend sie war. Und so lauschte ich, wenn ich an ihrem Haus vorbeikam, hörte ihre Stimme aus dem Gewirr der anderen heraus und erfuhr so, dass sie beinahe ein Kind noch war, voller Seelenqualen und Geheimnisse, die sie mit großem Geschick hinter ihrer anmutigen Haltung und dem schönen Gesicht zu verbergen verstand. Wie schön sie war, ahnte ich nicht, bis ich die Stufen zu ihrem Haus erklomm, kühn ihre Räumlichkeiten betrat und sie mit eigenen Augen sah.
    Als ich den Salon erreichte, kehrte sie mir gerade den Rücken zu und wandte sich um, als hätte ich ein Geräusch verursacht, was aber nicht der Fall war. Ich sah zuerst ihr Profil, und als sie sich erhob, um mich zu begrüßen, sah ich sie von vorn. Einen kurzen Moment verschlug es mir die Sprache, so tief beeindruckt war ich von ihrer Gestalt und ihrem Gesicht.
    Reiner Zufall, dass Botticelli sie nicht gemalt hatte! Sie hätte in der Tat eines seiner Modelle sein können! So sehr ähnelte sie seinen Frauenbildnissen, dass ich an gar nichts anderes denken konnte. Ich sah das ovale Gesicht, die Mandelaugen und das dichte blondgelockte Haar, das mit Perlenschnüren durchflochten war, sah ihren zierlichen Körperbau und die entzückend geformten Arme und Brüste.
    »Ja, wie Botticelli«, bestätigte sie lächelnd, als hätte ich meine Gedanken ausgesprochen.
    Abermals fehlten mir die Worte. Ich war doch der, der Gedanken lesen konnte! Und doch schien dieses Mädchen, diese Frau von gerade mal neunzehn oder zwanzig, in meinen gelesen zu haben. Aber wusste sie, wie sehr ich Botticelli liebte? Wohl kaum. Indem sie meine Hand mit ihren beiden Händen ergriff, fuhr sie munter fort: »Jeder sagt das, und es schmeichelt mir. Man könnte sagen, dass Botticelli mich zu dieser Haartracht inspirierte. Wisst Ihr, ich wurde in Florenz geboren, aber das in Venedig zu erwähnen ist unnütz, nicht wahr? – Ihr seid Marius de Romanus. Ich habe mich schon gefragt, ob Ihr gar nicht mehr herfindet.«
    »Danke, dass Ihr mich empfangt«, antwortete ich. »Ich fürchte, ich komme mit leeren Händen.«
    Ich war immer noch verblüfft ob ihrer Schönheit und ihrer klangvollen Stimme.
    »Was kann ich Euch bieten?«, fragte ich. »Weder Gedichte noch geistreiches Geplauder über alltägliche Ereignisse. Aber morgen will ich meine Diener herschicken, mit dem besten Wein aus meinem Keller. Aber sicher bedeutet Euch das nichts.«
    »Wein?«, wiederholte sie. »Ich möchte keinen Wein von Euch, Marius. Malt mein Porträt! Malt mich mit meinen Perlenschnüren im Haar. Das würde mir gefallen!«
    Immer wieder klang im Raum leises Lachen auf. Ich schaute mich gedankenverloren nach den anderen Gästen um. Selbst ich empfand das Kerzenlicht als gedämpft. Wie prächtig das alles schien, diese naiven Dichter und Erforscher der Klassik, diese unbeschreiblich schöne Frau und der Raum selbst mit seinen kostbaren Ausschmückungen; und die Zeit ging so gemächlich dahin, als ob jeder einzelne Augenblick eine Bedeutung hätte und nicht eine Aneinanderreihung von Reue und Gram wäre. Ich fühlte mich wie im Himmel. Und mir wurde plötzlich klar: Dieser jungen Frau ging es genauso. Hinter ihrem kürzlich erworbenen Reichtum steckte etwas Schmutziges und Böses, dennoch sah man ihr nicht das Mindeste von der Verzweiflung an, die sie unbestritten fühlen musste. Ich versuchte, ihre Gedanken zu lesen, entschied mich aber dann anders. Ich wollte nichts als diesen Augenblick. Ich wollte diese Frau so sehen, wie sie mich sehen wollte – jung, unendlich freundlich und doch hinter einem Schutzwall –, als Gesellschaft für heitere, nächtliche Treffen, als die geheimnisumwitterte Dame des Hauses.
    Ich sah nämlich einen weiteren großen Salon, der sich an diesen anschloss, und dahinter öffnete sich ein phantastisch möbliertes Schlafgemach mit einem Bett aus goldenen Schwänen und golddurchwirkten Seidenvorhängen. Warum stellte sie das so offen zur Schau, wenn nicht, um allen kundzutun, dass diese Dame allein schlief? Nie würde ein Mann diese Schwelle überschreiten, doch jedermann sollte sehen, wohin sich die Jungfrau allein zurückzog.
    »Warum schaut Ihr mich so

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