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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Herz und sah, wie sie die Opfer umschmeichelte, die sie vergiften sollte, wobei sie wenig oder nichts über den Grund für ein solches Todesurteil wusste. Darin bestand das schmutzige Lügenwerk, das ich von Anfang an erspürt hatte. Ein Verwandter, ein Geldverleiher aus Florenz, hielt sie in Angst und Schrecken. Der war es nämlich, der sie hier in dieser Stadt untergebracht, sie mit diesem hübschen, vielzimmrigen Nestchen versehen hatte, wo unaufhörlich die Musik erklang. Und der verlangte von ihr, dass sie das Gift in den richtigen Becher gab, damit der von ihm bezeichnete Mann beseitigt würde. Wie ruhig ihre blauen Augen über die hinglitt, die den fatalen Trank genossen. Wie ruhig sie die Lesung der Gedichte verfolgte. Wie ruhig sie lächelte, wenn ihre Augen auf den großen blonden Mann fielen – auf mich –, der sie aus seiner Ecke heraus beobachtete. Und wie groß war ihre Verzweiflung! Mit diesem Wissen gewappnet, nein, dadurch zur Verzweiflung getrieben, ging ich hinaus in die Nacht und streifte rastlos umher, denn nun hatte ich den Beweis für die unermessliche Schuld, die sie trug. War das nicht Grund genug, sie in meine Welt zu holen, ihr das Blut der Finsternis aufzuzwingen und dann zu sagen: »Nein, mein Liebling, ich habe dir nicht das Leben genommen, ich habe dir eine Ewigkeit mit mir geschenkt!« Vor der Stadt wanderte ich stundenlang über die Landstraßen und schlug von Zeit zu Zeit verzweifelt mit den Fäusten gegen meine Stirn.
    Ich will sie, will sie, will sie! Aber es zu tun, brachte ich nicht über mich. Schließlich ging ich heim und malte ein Porträt von ihr. Immer wieder malte ich sie, Nacht um Nacht. Ich malte sie als die Jungfrau in der Verkündigung und als Jungfrau mit dem Kind. Ich malte sie als Maria bei der Grablegung. Ich malte sie als Venus, als Flora, malte Miniaturen mit ihrem Konterfei, die ich ihr dann schenkte. Ich malte sie, bis ich es nicht länger ertragen konnte und auf dem Boden meines Studios zusammenbrach, sodass meine Lehrlinge mich für krank hielten und erschreckt aufschrien, als sie mich dort in den frühesten Morgenstunden, noch im Dunkeln, fanden.
    Aber ich konnte ihr nichts zuleide tun. Ich konnte das verruchte Blut nicht an sie weitergeben. Ich konnte sie nicht in meine Welt holen, und in meinen Augen besaß sie nun einen ungeheuren, bizarren Wert.
    Sie war böse, wie ich, und wenn ich sie aus meiner Zimmerecke heraus beobachtete, bildete ich mir ein, dass ich ein Wesen studierte, das so wie ich war. Weil sie leben wollte, beseitigte sie ihre Opfer. Weil ich leben wollte, trank ich Menschenblut. Und so bekam dieses sanfte Mädchen mit den langen blonden Locken und den kostbaren Gewändern in meinen Augen eine düstere Majestät und faszinierte mich stärker denn je.
    Eines Nachts war mein Schmerz so übergroß und mein Bedürfnis, Abstand von dieser Frau zu gewinnen, so drängend, dass ich meine Gondel nahm und den Gondelführer anwies, mich kreuz und quer durch die engsten Kanäle der Stadt zu rudern, bis ich den Befehl zur Heimfahrt gäbe.
    Was suchte ich? Den Gestank nach Tod und Ratten in den schwärzesten Gewässern? Den hin und wieder gnädig aufleuchtenden Strahl des Mondes?
    Ich legte mich, den Kopf auf einem Polster, lang ausgestreckt ins Boot und lauschte den Stimmen der Stadt, um meine eigene innere Stimme nicht hören zu müssen.
    Und ganz plötzlich, als wir wieder in breitere Kanäle einfuhren, wo ein ganz bestimmter Bezirk Venedigs begann, hörte ich eine Stimme, die sich von allen anderen unterschied, denn sie gehörte zu einem verzweifelten, kranken Geist.
    Blitzartig sah ich ein Bild, das zu dieser Stimme gehörte, ein Antlitz auf einem Gemälde. Ich sah sogar, mit welch wunderbaren Pinselstrichen die Farbe aufgetragen worden war. Ich erkannte dieses Antlitz. Es war das Antlitz Christi!
    Was hatte das zu bedeuten? Ich lauschte in feierlichem Schweigen. Keine andere Stimme war im Moment interessant. Ich bannte die wispernden Stimmen einer ganzen Stadt. Da wehklagte jemand. Hinter dicken Mauern weinte ein Kind, ein Junge, dem so Grausames angetan worden war, dass er sich an nichts erinnern konnte, weder an seine Muttersprache noch an seinen Namen.
    Und doch betete er in ebendieser Sprache, er möge von denen erlöst werden, die ihn in Dunkelheit verbannt, gefoltert und in einer fremden Sprache beschimpft hatten.
    Wieder sah ich das Bild, Christus. Christus, im altehrwürdigen griechischen Stil gemalt. Oh, wie gut ich diese Malweise kannte,

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