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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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der Mann, der mich begrüßt hatte, zurück.
    »Den wollt Ihr nicht«, sagte er hastig; er war sehr aufgeregt, und in seinem Geist sah ich abermals das Bild des Jungen – er lag auf einem Steinfußboden. Ich hörte sein Beten: »Erlöse mich.« Und in glänzenden Temperafarben das Antlitz Christi. Ich sah die Edelsteine, die in den Heiligenschein eingefügt waren. Ich sah, wie Ei und Farbpigment gemischt wurden, und abermals: »Erlöse mich.«
    »Habt Ihr mich nicht verstanden?«, fragte ich. »Ich sagte, was ich will. Ich will diesen Jungen, den, der nicht tun will, wozu Ihr ihn zwingen wollt.«
    Schließlich verstand ich: Der Bordellbesitzer dachte, der Junge würde sterben. Er fürchtete das Gesetz und war deshalb zu Tode erschrocken.
    »Bringt mich zu ihm«, verlangte ich. Ich benutzte die Gabe der Bezauberung, um ihn zu überreden. »Jetzt sofort. Ich weiß, dass er hier ist, und werde nicht ohne ihn wieder gehen. Außerdem zahle ich! Mir ist gleich, ob er krank ist oder stirbt. Hört Ihr? Ich nehme ihn mit. Ihr werdet seinetwegen keinen Ärger haben!« Die Kammer, in die sie ihn eingesperrt hatten, war grausam eng, und nun fiel das Licht einer Lampe hinein, auf den Knaben, auf seine Schönheit, und Schönheit war schon immer mein Verderben, Schönheit, wie Pandora, wie Avicus und Zenobia, wie Bianca sie besaßen, hier aber Schönheit von einer mir neuen, überirdischen Art. Auf diesen steingepflasterten Boden hatte der Himmel einen verlorenen Engel geschleudert, mit kastanienfarbenen Locken, vollkommen geformten Gliedern und einem schönen, geheimnisumwitterten Antlitz.
    Ich bückte mich, fasste seine Arme und hob ihn auf, dann sah ich in seine halb geschlossenen Augen. Sein weiches, rot schimmerndes Haar hing lang und verfilzt herab. Seine Haut war blass, und sein Gesicht hatte nur andeutungsweise die scharfen Konturen, die slawisches Blut verleiht.
    »Amadeo«, sagte ich, der Name flog mir auf die Lippen, als hätten Engel ihn mir eingegeben, die Engel, denen er in seiner Reinheit und sichtlichen Unschuld so sehr glich, selbst jetzt, ausgezehrt, wie er war.
    Seine Augen wurden groß, als er mich ansah. Wieder sah ich in seinem Geist die Ikonen, die er gemalt hatte, erhaben und von goldenem Licht umspielt. Verzweifelt kämpfte er um Erinnerung. Ikonen. Der Christus, den er gemalt hatte. Mit langem Haar und flammenden Augen – und ich ähnelte diesem Christus. Er wollte sprechen, aber ihm fehlte die Sprache. Er versuchte, den Namen des Herrn zu finden.
    »Ich bin nicht Christus, mein Kind«, sagte ich zu ihm, indem ich mich tief ins Unbewusste seines Geistes vorwagte, »doch bin ich jemand, der eine eigene Art von Erlösung bringt. Komm in meine Arme, Amadeo.«

 
     
     
19
     
    I ch liebte ihn sofort und hoffnungslos. Er war höchstens fünfzehn, als ich ihn in jener Nacht aus dem Bordell holte und ihn in meinen Palazzo zu den anderen Jungen brachte, wo er von nun an leben sollte.
    Als ich ihn unterwegs in der Gondel fest an mich gedrückt hielt, spürte ich, dass er dem sicheren Verderben nahe war – dass ich ihn wirklich im letzten Augenblick einem widersinnigen Tod entrissen hatte.
    Zwar schenkten ihm meine kräftigen Arme Trost, als er da an meiner Brust ruhte, doch sein Herz schlug kaum stark genug, um mir seine Gedankenbilder zu verdeutlichen. Am Palazzo angekommen, wehrte ich Vincenzos Hilfe ab und schickte ihn stattdessen los, Speisen für das Kind zu besorgen, während ich Amadeo ohne Hilfe in mein Schlafgemach brachte. Matt und zerlumpt, wie er war, legte ich ihn auf mein Bett mitten zwischen die schweren Samtvorhänge und Kissen, und als endlich die Suppe gebracht wurde, zwang ich sie eigenhändig zwischen seine Lippen.
    Wein, Suppe, einen Trank aus Honig und Zitrone, was mehr konnten wir ihm geben? Langsam, mahnte Vincenzo, damit er nach dem langen Hungern nicht zu viel isst, das würde seinem Magen schaden.
    Schließlich schickte ich Vincenzo fort und verriegelte die Türen des Zimmers.
    War das der schicksalhafte Augenblick? War das der Augenblick, der mir die tiefsten Tiefen meiner Seele offenbarte, der Augenblick, in dem ich mir eingestand, dass dieses Kind ganz mir gehörte und meiner Macht, meiner Unsterblichkeit, all meinem Wissen ausgeliefert war?
    Beim Anblick dieses Knaben dort auf dem Bett vergaß ich die Stimme, die von Schuld und Vorwürfen sprach. Ich war Marius, der Zeitzeuge vieler Jahrhunderte, Marius, erwählt von Jenen, die bewahrt werden müssen.
    Ich brachte Amadeo ins

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