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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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er sich seinen eigenen Vorstellungen gemäß entfalten konnte!
    Dennoch betrachtete Amadeo sich in seinem tiefsten Inneren, ganz im Geheimen, von anderen nicht wahrnehmbar, als mein mit Haut und Haar und ganz mir zu Befehl. Das löste in mir widerstrebende Gefühle aus.
    Ich erhob keinen Anspruch mehr auf diesen Knaben. Gleich, wie groß meine Einsamkeit war und welches Elend er ertragen hatte, ich konnte ihn nicht zum Blut der Finsternis verdammen. Er musste im Kreis meiner Lehrlinge und Gelehrten seine Chance bekommen, und wenn er sich als so hervorragend erwies, wie ich es auf Grund seiner Intelligenz erwartete, sollte er auch die Möglichkeit haben, die Hohe Schule von Padua oder Bologna zu besuchen, auf die einige meiner Schüler demnächst schon überwechseln würden, da all die Projekte, an denen sie unter diesem schützenden Dach teilhatten, Früchte zu tragen begannen. In den späten Abendstunden jedoch, wenn die Lektionen abgeschlossen, die jüngeren Knaben zu Bett gebracht waren und die älteren noch für mich im Studio werkelten, konnte ich mich nicht enthalten, Amadeo mit in mein Schlafgemach zu nehmen. Dann überschüttete ich ihn mit sehr irdischen Küssen, die süß und verlangend waren und nichts mit Dem Blut zu schaffen hatten, und er gab sich mir ohne Rückhalt hin.
    Meine Schönheit verzauberte ihn. Es war unzweifelhaft so. Ich brauchte die Gabe des Geistes nicht, um ihn in Bann zu schlagen. Er betete mich an. Und obwohl meine Gemälde ihm Angst machten, war da etwas in seiner tiefgründigen Seele, das ihm erlaubte, zumindest mein eindeutiges Talent zu verehren – den flinken Entwurf, die glühenden Farben und den eleganten, raschen Pinselstrich. Natürlich erwähnte er seine Besuche nie den anderen gegenüber. Und die Jungen, die gewusst haben müssen, dass wir beide für Stunden in meinem Schlafzimmer waren, wagten nicht einmal, daran zu denken, was sich zwischen uns abspielte. Und was Vincenzo anging, so war er klug genug, dieses seltsame Verhältnis gar nicht erst zur Kenntnis zu nehmen.
    Amadeos Erinnerungen waren derweilen nicht zurückgekehrt. Er konnte nicht malen, nicht einmal den Pinsel anfassen. Es war, als ob die ungemischten Farben seine Augen versengten. Aber er war genauso intelligent wie die anderen Jungen. Latein und Griechisch flogen ihm zu, er tanzte wunderbar, und er liebte den Fechtunterricht. Selbst den Stoff der klügsten Lehrer verschlang er eifrig. Bald schon konnte er mit klarer, fester Hand Latein schreiben.
    Abends trug er mir seine Verse vor oder sang und begleitete sich dabei mit leisem Lautenspiel.
    Ich saß an meinem Schreibtisch und lauschte seiner leisen, dem Takt der Musik folgenden Stimme. Immer war sein Haar hübsch gekämmt, seine Kleider waren fein und fleckenlos und seine Finger wie meine von Ringen bedeckt.
    Wusste nicht jeder, dass ich mir diesen Knaben hielt? Als meinen Favoriten, meinen Geliebten, meinen heimlichen Schatz? Selbst im alten Rom, wo es Laster genug gab, hätte es Geflüster, verstohlenes Lachen und spöttische Bemerkungen gegeben. Hier in Venedig galt das für Marius de Romanus nicht. Amadeo jedoch schöpfte langsam Verdacht – nicht wegen der Küsse, die ihm nur zu schnell schon zu keusch waren, sondern dem marmorbleichen Mann gegenüber, der an seinem eigenen Tische weder speiste noch auch nur einen Tropfen Wein trank oder je tagsüber unter seinem eigenen Dach weilte. Gleichzeitig mit diesem Verdacht wuchs in Amadeo zusehends auch Verwirrung, da sich Erinnerungen bei ihm meldeten und er sie beiseite schob; und wenn wir dösend beisammen lagen, wachte er manchmal auf und quälte mich mit Küssen, wenn ich lieber still geträumt hätte. Als ich eines schönen Winterabends hereinkam und meine begeisterten Schüler begrüßte, erzählte Riccardo mir, dass er Amadeo zu der schönen, edlen Dame Bianca Solderini mitgenommen hatte; sie hatte beide willkommen geheißen, hatte entzückt Amadeos Reimen gelauscht und ebenso entzückt seine Huldigungen entgegengenommen, die er aus dem Stegreif aufs Papier bringen konnte.
    Ich schaute Amadeo in die Augen. Er war von ihr bezaubert. Wie gut ich das verstand! Und welch seltsame Stimmung überkam mich, als er davon schwärmte, wie angenehm ihre Gesellschaft war und wie faszinierend die englischen Herren unter ihren Gästen. Bianca hatte mir ein kleines Briefchen geschickt.
     
    Marius, Ihr fehlt mir. Kommt doch bald einmal her, und bringt die Knaben mit. Amadeo steht Riccardo an Klugheit nicht nach.

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