Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
seinen Büchern, anstatt abends zu Bianca zu gehen. Eigentlich hielt er sich sogar nur in meinem Schlafgemach auf, denn ihm behagte die schlichte Kameradschaft mit den anderen Jungen nicht mehr recht.
Wie sollte ich dieses Kind dazu bringen, mich zu verlassen? Und was könnte ich ihm geben, um ihn noch besser darauf vorzubereiten, der Gefährte zu sein, den ich mir von ganzem Herzen wünschte?
Beide Fragen quälten mich.
Schließlich überlegte ich mir einen Plan – Amadeo sollte eine letzte Probe bestehen, und wenn er versagte, würde ich ihn mit so viel Reichtum und einer gesellschaftlichen Position ausstatten, dass er dem nicht widerstehen könnte. Wie ich das anstellen sollte, wusste ich zwar noch nicht, aber es erschien mir nicht allzu schwierig.
Ich würde ihm enthüllen, wie und wovon ich mich nährte! Diese Probe war natürlich wieder einmal ein Selbstbetrug; denn wenn er mich einmal beim Bluttrinken, beim Töten beobachtet hatte, wie konnte er dann noch gesunden Geistes in ein schaffensreiches Leben als Sterblicher wechseln, gleich, wie gebildet, kultiviert und reich er wäre.
Doch kaum hatte ich mir das vor Augen gehalten, fiel mir meine kostbare Bianca ein, die das Ruder ihres Lebensschiffes ganz fest in der Hand hielt, trotz der vergifteten Becher, die sie austeilte. All meine Gebete drehten sich nur um diese verfluchten Überlegungen. Fragte ich etwa Enkil und Akasha um die Erlaubnis, dieses Kind zu einem Bluttrinker zu machen? Fragte ich um Erlaubnis, Amadeo die Geheimnisse dieses uralten, unwandelbaren Schreins zu offenbaren? Wie auch immer, ich bekam keine Antwort. Akasha saß in teilnahmsloser Ruhe, Enkil majestätisch wie immer.
Die einzigen Laute entstanden, als ich mich von den Knien erhob, Akashas Füße mit Küssen bedeckte, mich dann zurückzog und die riesigen Türen hinter mir zuzog und sie verriegelte. An jenem Abend herrschte in den windumtosten Bergen Schneefall, bitterkalt, weiß und rein. Ich war froh, innerhalb weniger Minuten wieder daheim in Venedig zu sein, obwohl es in meiner geliebten Stadt ebenfalls kalt war.
Kaum betrat ich mein Schlafzimmer, sank Amadeo in meine Arme. Überschwänglich küsste ich sein Haar, dann seinen warmen Mund, dass ihm der Atem stockte. Ein winziger Biss, und ich ließ Das Blut zwischen seine Lippen tröpfeln.
»Würdest du sein wollen wie ich, Amadeo?«, fragte ich. »Würdest du dich nie, nie verändern wollen? Würdest du in alle Ewigkeit mit einem Geheimnis leben wollen?«
»Ja, Herr«, sagt er mit fiebriger Hingabe. Er legte seine warmen Hände um mein Gesicht. »Schenkt es mir, Herr. Glaubt Ihr, ich hätte nie darüber gegrübelt? Ich weiß doch, dass Ihr die Gedanken von uns Jungen ergründen könnt. Ich will, Herr, ich will! Herr, ich gehöre Euch.«
»Hol dir deinen wärmsten Umhang, draußen ist es kalt«, sagte ich, »und dann komm hinauf aufs Dach.«
Kaum eine Sekunde schien verstrichen, als er sich schon zu mir gesellte. Ich blickte hinaus aufs Meer. Es wehte ein kräftiger Wind. Ich fragte mich, ob es ihn krank machen könnte. Ich ergründete seinen Geist und lotete die Tiefe seiner Leidenschaft aus. Und als ich ihm in die braunen Augen schaute, wusste ich, dass er die Welt der Sterblichen schon hinter sich gelassen hatte, müheloser wahrscheinlich als jeder andere Sterbliche, den ich in meinem Garten hätte pflücken können. In ihm gärten immer noch die unverarbeiteten Erinnerungen, obwohl er sein ganzes Vertrauen in mich setzte.
Ich schlang die Arme um ihn, bedeckte sein Gesicht und trug ihn mit mir hinab in einen verrufenen Teil Venedigs, wo an jeder Stelle Diebe und Bettler schliefen. Aus den Kanälen stieg der Gestank nach Abfall und totem Fisch auf. Innerhalb weniger Minuten fand ich dort ein passendes Opfer und packte den elenden Gesellen zu Amadeos Verwunderung mit übernatürlicher Schnelligkeit in dem Moment, als er mit dem Dolch zustoßen wollte. Ich führte seine Kehle an meine Lippen und ließ Amadeo die scharfen Zähne sehen, mit denen ich die Haut des Unglücklichen durchbohrte. Ich schloss die Augen und war nur noch Marius, der Bluttrinker, ich schluckte gierig sein Blut, und es machte mir nichts aus, dass Amadeo dabei zusah.
Als ich fertig war, ließ ich den Leichnam leise ins schmutzige Wasser des Kanals sinken. Ich drehte mich um. Ich spürte, wie das Blut sich in mir ausbreitete, in Gesicht und Brust und in die Hände. Mein Blick war vernebelt, und ich wusste, dass ich lächelte – nicht bösartig, sondern
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