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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ganz menschlich wirkten, und ich wusste, wenn ich jetzt in den Spiegel sähe, so sähe ich das rosig blühende Gesicht eines Menschen.
    Eine köstliche und doch unerträgliche Hitze brodelte in mir, und ich spürte nur ein einziges Verlangen – Amadeo zu nehmen und ihn in meine Welt zu holen, jetzt gleich. Immer noch saß er mir gegenüber, sein Gesicht von Tränen überströmt.
    »Sie sind alle tot«, sagte ich, »alle, die Bianca gequält haben. Komm jetzt mit mir. Wir verlassen diesen blutigen Schauplatz. Ehe die Sonne aufgeht, möchte ich ein wenig mit dir spazieren gehen, am Meer.«
    Er folgte mir wie ein Kind, während ihm die Tränen über die Wangen rannen.
    »Wisch dir die Tränen ab«, sagte ich bestimmt. »Wir sind gleich auf der Piazza. Und es ist beinahe hell.« Als wir die Stufen hinabschritten, schob er seine Hand in die meine. Ich schlang den Arm um ihn, zum Schutz vor dem scharfen Wind.
    »Herr«, sagte er mit verhaltener Stimme, »diese Männer, sie waren schlecht, nicht wahr? Ihr wart Euch da sicher. Ihr wusstet es.«
    »Ja, alle, ausnahmslos«, antwortete ich und fuhr fort: »Aber manchmal sind Menschen beides zugleich, gut und böse, und wer bin ich, dass ich es wage, das zu entscheiden, wenn ich meinen wilden Hunger stille, und doch tue ich es. Ist nicht Bianca gut und böse zugleich?«
    »Herr«, fragte er, »wenn ich das Blut derer, die schlecht sind, trinke, werde ich dann wie Ihr?«
    Wir standen vor den verschlossenen Portalen der Markuskirche. Vom Meer her wehte ein gnadenloser Wind; ich zog meinen Umhang dichter um Amadeo, und er lehnte den Kopf an meine Brust.
    »Nein, Kind«, sagte ich, »dazu bedarf es eines größeren Zaubers.«
    »Ihr müsst mir Euer Blut geben, Herr, ist es nicht so?«, fragte er und blickte zu mir auf. Die klaren Tränen auf seinen Wangen glitzerten in der kalten Luft, sein Haar war zerzaust. Ich antwortete nicht.
    »Herr«, nahm er wieder das Wort, während ich ihn an mich gedrückt hielt, »vor vielen Jahren – so kommt es mir jedenfalls vor –, weit weg von hier, dort, wo ich lebte, ehe ich zu Euch kam, da war ich das, was man einen Toren um Gottes willen nannte. Ich kann mich nur undeutlich daran erinnern, und wir beide wissen, dass sich daran nichts ändern wird.
    Doch weiß ich, ein Tor um Gottes willen ist jemand, der Gott ganz und gar ergeben ist und den nichts schert, ob Hunger oder Kälte oder Spott und Gelächter. Und daran erinnere ich mich, dass ich damals ein Tor um Gottes willen war.«
    »Aber du hast auch gemalt, Amadeo, du hast wunderschöne Ikonen gemalt.«
    »Aber hört doch, Herr«, sagte er unbeirrt und zwang mich zu schweigen, »egal, was ich damals tat, ich war ein Tor um Gottes willen, und nun bin ich wohl ein Tor um Euretwillen.« Er machte eine Pause und schmiegte sich dichter an mich, weil der Wind schärfer blies. Vom Meer her kroch der Nebel über das Pflaster. Lärm hallte von den Schiffen herüber.
    Ich setzte zum Sprechen an, doch er machte eine um Schweigen heischende Geste. So eigenwillig und stark schien er mir, so verführerisch – und so ganz und gar mein.
    »Herr«, fuhr er nun fort. »Tu es, wann du es willst. Ich werde verschwiegen sein. Ich werde Geduld haben. Tu es, wann und wie du willst.«
    Ich dachte über seine Worte nach. Dann sagte ich: »Geh heim, Amadeo. Du weißt, wenn die Sonne am Himmel erscheint, muss ich dich verlassen.«
    Er nickte verdutzt, als ob es ihm jetzt zum ersten Mal etwas ausmachte, obwohl es ihm unmöglich nicht schon früher aufgefallen sein konnte.
    »Geh heim, lerne zusammen mit den anderen, sprich mit ihnen, und hüte die kleineren Knaben bei ihren Spielen. Wenn du diese Kluft überbrücken kannst – vom blutüberströmten Bankettsaal zum Lachen der Kinder –, dann tu es. Und wenn ich heute Nacht heimkomme, werde ich es tun. Ich werde dich hinüberholen zu mir, in meine Welt.«
    Ich sah ihm nach, wie er durch den Nebel hinunter zum Kanal ging, wo die Gondel wartete, die ihn zurück zum Palazzo bringen würde.
    »Ein Tor um Gottes willen!« Ich flüsterte vor mich hin, als könne mein Verstand die Worte so besser aufnehmen. »Ja, ein Tor um Gottes willen, und in einem elenden Kloster maltest du Heiligenbilder, überzeugt davon, dass dein Leben nur durch Opfer und Schmerz eine Bedeutung haben könnte. Und nun hat für dich der Zauber, den ich wirken kann, die gleiche versengende Reinheit; du wendest dich von allem ab, was einem Menschen wertvoll sein könnte.«
    Aber war es so? Hatte er

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