Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
Sicherlich gibt es doch in einem Dorf oder einer Siedlung einen Verurteilten, den man herbringen könnte?‹
Alle schreckten sie davor zurück und hefteten ihre Blicke auf den Baum und die Pforte darin mit ihren vielen Schlössern. Und mir wurde klar, dass sie Angst hatten.
Dann geschah etwas Grässliches, das mich ganz und gar veränderte. Aus der Eiche drang ein Schwall von Feindseligkeit, die ich fühlen konnte, als starrte mich jemand voll tiefster Erbitterung an! Ich konnte es fühlen, als sehe mich das Wesen mit erhobenem Schwert voll unbändiger Wut an, um mich zu vernichten. Natürlich hatte der Gott die Kraft, mit seinen hasserfüllten Gedanken meinen eigenen Geist zu überschwemmen. Aber er drang so heftig auf mich ein, dass ich nicht wusste, was zu tun war. Die Priester gaben Fersengeld. Sie hatten den Grimm und den Hass ebenfalls gefühlt. Ich konnte nicht weg. Ich konnte mich nicht rühren. Ich starrte die Eiche an. Ich glaube, der uralte Zauber hatte mich gefesselt. Der Gott, Dichtung, Lieder, Opfergaben – all das war mir plötzlich einerlei. Ich wusste nur, in dieser Eiche saß ein übermächtiges Wesen. Und ich lief nicht vor ihm davon. Und in diesem Moment erwachte meine böse, ränkevolle Seele zum Leben!«
Mael seufzte abermals dramatisch. Er schwieg und blickte mich unverwandt an.
»Wieso?«, fragte ich.
»Welche Ränke schmiedetest du denn? Du hattest mit dem milden Gott eures eigenen Haines nur durch Gedanken gesprochen. Du hattest ihn bei Vollmond die Opfer entgegennehmen sehen, schon vor dem Schreckensfeuer, aber auch danach. Du hattest mich nach meiner Umwandlung durch den Gott gesehen. Du hast es gerade selbst gesagt. Was beeindruckte dich an diesem Gott so sehr?«
Er wirkte einen Moment lang völlig überwältigt. Schließlich starrte er wieder vor sich hin wie zuvor und sprach weiter. »Dieser Gott war nicht nur zornig, Marius. Dieser Gott wollte, dass es nach seinem Kopf ging.«
»Warum hattest du dann keine Angst?«
Schweigen senkte sich über den Raum. Ich war ehrlich ein wenig perplex. Ich schaute zu Avicus hinüber. Ich wollte die Bestätigung: Avicus war dieser Gott gewesen, oder? Aber eine solche Frage schien mir zu plump. Ich hatte ja schon gehört, dass Avicus Mael das Blut der Finsternis gegeben hatte. Ich wartete ab, wie es sich gehörte. Endlich schaute mich Mael mit einem überaus hinterhältigen, seltsamen Blick an. Er senkte die Stimme und lächelte gehässig. »Der Gott wollte heraus aus der Eiche«, sagte er und warf mir einen bösen Blick zu, »und ich wusste, wenn ich ihm dabei half, würde er mir das magische Blut geben!«
»So«, ich konnte mich nicht eines Lächelns enthalten. »Er wollte heraus aus der Eiche. Natürlich.«
»Ich wusste noch, wie du entkommen warst. Der mächtige Marius, erstarkt durch das Blut der Geopferten, rannte in höchster Eile vor uns davon! Nun, so würde auch ich rennen! Ja und abermals ja, und während ich das dachte, während ich geheime Pläne machte und überlegte, hörte ich abermals die stumme Stimme aus der Eiche, die heimlich und verstohlen allein an mich gerichtet war:
›Komm näher‹, befahl sie mir, und dann, als ich meine Stirn gegen den Baum drückte, sprach sie: ›Erzähl mir von diesem Marius, erzähl mir von seiner Flucht. Erzähl mir davon, und ich werde dir das Blut der Finsternis geben, und wir werden gemeinsam von hier fliehen, du und ich.‹«
Mael zitterte. Aber Avicus wirkte resigniert, als habe er schon häufiger darüber nachgegrübelt.
»Langsam wird mir einiges klar«, sagte ich. »Alles hängt mit dir zusammen«, trotzte Mael und drohte mir mit der Faust. Er kam mir wie ein Kind vor.
»Du hast es dir selbst zuzuschreiben«, entgegnete ich. »Und zwar von dem Augenblick an, als du mich aus der Taverne in Gallien entführtest. Du brachtest uns zusammen. Vergiss das nicht. Du hieltest mich gefangen. Aber dass du die Geschichte aufrollst, macht dich ruhiger. Du musst es uns erzählen. Fahr fort.« Eine Sekunde sah es so aus, als wollte er mir in verzweifelter Wut an die Kehle springen, aber dann änderte sich sein Ausdruck. Und während er den Kopf leicht schüttelte, beruhigte er sich, runzelte düster die Stirn und sprach weiter:
»Als ich diese Bestätigung von dem Gott selbst erhielt«, sagte er, »hatte ich mich diesem weiteren Weg auf Gedeih und Verderb verschrieben. Ich erklärte den übrigen Priestern sofort, dass sie einen Mann als Opfer darbringen müssten. Es war keine Zeit zu
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