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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Verachtung fühlte ich tiefes Mitleid für ihn. Der Ausdruck auf Avicus’ Gesicht jedoch rührte mich irgendwie. Wenn er Mael ansah, war seine Miene nachdenklich und mitfühlend; aber dann fiel sein Blick auf mich, und sein Ausdruck wurde lebhafter.
    »Und wie erscheint dir die Welt, Avicus?«, fragte ich. Mael schaute mich wütend an, sprang auf und kam zu mir herüber; mit erhobener Hand beugte er sich über mich, als wolle er mich schlagen.
    »Ist das alles, was du zu meiner Geschichte zu sagen hast?«, wollte er wissen. »Du fragst ihn, wie er die Welt sieht?« Ich sagte nichts darauf. Ich hatte einen groben Schnitzer gemacht, obwohl nicht mit Absicht. Aber ich hatte zweifelsohne den Wunsch, ihn zu verletzen. Und das hatte ich getan. Avicus war aufgesprungen. Er ging zu Mael und führte ihn zurück zu seinem Platz, fort von mir.
    »Beruhige dich, mein Lieber«, sagte er sanft und zog ihn zu seinem Stuhl. »Wir wollen noch ein wenig reden, ehe wir uns von Marius verabschieden. Wir haben noch Zeit bis zum Morgen. Bitte, bleib ruhig.«
    Erst da merkte ich, was Mael so in Wut gebracht hatte. Nicht, dass er glaubte, ich hätte ihn ignoriert. Er wusste es besser. Nein, es war Eifersucht. Er dachte, dass ich ihm seinen Freund abspenstig machen wollte.
    Sobald Mael sich wieder hingesetzt hatte, schaute Avicus mich beinahe herzlich an.
    »Die Welt ist wunderbar, Marius«, sagte er friedvoll. »Ich erfasse sie wie ein Blinder, der wundersamerweise sehend geworden ist. Ich erinnere mich an nichts aus meinem Dasein als Sterblicher, nur dass ich in Ägypten lebte. Und dass ich selbst nicht aus Ägypten stammte. Ich fürchte mich, dorthin zu gehen. Ich habe Angst, dass die alten Götter dort noch immer verweilen. Wir ziehen durch die Städte des ganzen römischen Reiches, nur die ägyptischen lassen wir aus. Und es gibt viel zu sehen für uns.«
    Mael war immer noch misstrauisch. Er zog seinen zerlumpten, schmutzigen Umhang um sich, als wäre er im Begriff zu gehen. Avicus allerdings wirkte, als fühle er sich rundum wohl, obwohl er barfuß war und ebenso verschmutzt wie Mael.
    »Wenn wir Bluttrinker trafen«, erklärte Avicus, »was nicht allzu oft geschah, fürchtete ich stets, dass sie in mir den abtrünnigen Gott erkennen würden.«
    Es überraschte mich, mit welcher Kraft und welchem Selbstvertrauen er das sagte.
    »Aber es tritt nie ein«, fuhr er fort. »Und manchmal sprechen sie von der Guten Mutter und den alten Riten, als die Götter das Blut der Übeltäter zu trinken pflegten, aber sie wissen weniger darüber als ich selbst.«
    »Was weißt du denn, Avicus?«, fragte ich kühn. Er zögerte nachdenklich, als wäre er sich nicht ganz sicher, ob er mir eine ehrliche Antwort geben wollte. Dann sprach er: »Ich denke, ich wurde zu ihr gebracht.« Seine braunen Augen blickten offen und ehrlich.
    Mael wandte sich ihm heftig zu, wie um ihn für seine Offenheit zu schlagen, aber Avicus sprach einfach weiter. »Sie war wunderschön. Aber ich hatte die Augen niedergeschlagen. Ich konnte sie nicht richtig sehen. Und sie redeten über irgendetwas, und der monotone Singsang ängstigte mich. Ich war ein erwachsener Mann, so viel ist gewiss, und sie erniedrigten mich. Sie sprachen von Ehren, die für mich aber Flüche waren. Den Rest habe ich möglicherweise geträumt.«
    »Wir waren lange genug hier«, sagte Mael plötzlich. »Ich möchte gehen.«
    Er erhob sich, und Avicus tat es ihm gleich, wenn auch sehr zögerlich. Zwischen Avicus und mir entwickelte sich etwas, stumm, verstohlen, und Mael konnte es nicht unterbrechen. Ich denke, Mael wusste das, kochte deshalb vor unterdrückter Wut, aber er konnte es nicht verhindern. Es war geschehen.
    »Danke für deine Gastfreundschaft«, sagte Avicus und griff nach meiner Hand. Einen Augenblick sah er fast heiter aus. »Hin und wieder erinnere ich mich an einen Brauch der Sterblichen. Diese Geste des Händeschüttelns – daran erinnere ich mich.« Mael war bleich vor Wut.
    Natürlich gab es noch einiges, das ich Avicus gerne gesagt hätte, aber ich wusste nun, dass es unmöglich war. »Vergesst nicht« – ich sah beide an –, »ich lebe wie ein Sterblicher, mit den gleichen Bequemlichkeiten. Und ich habe stets meine Studien, meine Bücher hier, wie ihr seht. Ich werde gelegentlich das Reich bereisen, aber vorerst ist Rom, wo ich geboren bin, meine Heimat. Für mich ist wichtig, was ich lernen kann. Was ich mit diesen Augen erfassen kann.« Ich schaute vom einen zum andern.
    »Ihr

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